© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Die Gewinner stehen fest
Impfstoffhersteller und die Staaten – Teil 2: Ein Whistleblower veröffentlicht die Geheimverträge / Bestellung der Vakzine auf Vorrat
Björn Harms / Mathias Pellack

Vor wenigen Wochen tauchte im Netz ein Whistleblower auf, der einen Vertrag zwischen dem Pharmaunternehmen Pfizer und Albanien über die Lieferung von Impfdosen publik machte. Sein Name: Ehden Biber. Wer ist dieser Mann? Auf seiner LinkedIn-Seite gibt er einige Informationen über sich preis: Seit seinem 18. Lebensjahr habe er beruflich im Bereich der Informationssicherheit gearbeitet. Sieben Jahre lang sei er beim Pharmakonzern Merck Sharp & Dohme tätig gewesen, die Hälfte der Zeit davon als regionaler Informationssicherheitsbeauftragter für Europa, den Nahen Osten und Afrika. Dort habe er standardisierte Verträge gesichtet, „die Länder unterzeichnet haben, wenn ein Gesundheitsministerium unsere Produkte bestellt hat“.

Hier ist die Verbindung zu den aktuellen Veröffentlichungen zu suchen: „Da die Kosten für die Ausarbeitung von Verträgen sehr hoch und zeitaufwendig sind, entwickelt Pfizer, wie alle Unternehmen, eine standardisierte Vertragsvorlage und verwendet diese Verträge mit relativ geringen Anpassungen in verschiedenen Ländern“, schreibt Biber. Der Vertrag mit Albanien ist also ein Musterbeispiel. „Diese Vereinbarungen sind vertraulich, aber glücklicherweise hat ein Land das Vertragsdokument nicht gut genug geschützt, so daß es mir gelungen ist, eine Kopie in die Hände zu bekommen“, berichtet Biber.

Nach Informationen der JF ist die Person mit dem vollständigen Namen Eh’den Uri Biber tatsächlich real. Der 52jährige war zumindest bis vor kurzem wohnhaft in England. Pfizer will die Angelegenheit auf Anfrage der JF nicht weiter kommentieren. „Wir werden uns nicht zu Geschichten über angeblich durchgesickerte Dokumente äußern, die im Internet kursieren“, heißt es von seiten der Pressestelle. Auch sein ehemaliger Arbeitgeber Merck will sich „aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern“. Eine erste Klarstellung gibt es jedoch von seiten der University of London, wo Biber mittlerweile wieder als Student eingetragen ist. „Wir können bestätigen, daß Ehden Biber ein Student an der Royal Holloway, University of London ist“, teilt eine Pressesprecherin der JF mit. „Seine Ansichten sind seine eigenen. Wir werden uns nicht zu persönlichen Ansichten äußern.“ Biber selbst verweist gegenüber der JF auf Interviews, die er bereits mit alternativen Medien geführt hat. Mehr will er derzeit nicht sagen.

Daß der geleakte Vertrag tatsächlich echt ist, hat unter anderem der britische Guardian bestätigen können. Über Biber stoßen wir noch auf die Kontrakte von Pfizer mit Brasilien und der EU. Die Verträge mit Albanien und Brasilien sind wie aus einem Guß. Es sieht ganz danach aus, als hätte Pfizer hier die Notlage der Staaten zu seinen Gunsten genutzt, indem es Abnahmegaratien fordert: Der Käufer erkläre sich damit einverstanden, daß die Bemühungen von Pfizer um die Entwicklung und Herstellung des Impfstoffs mit erheblichen Risiken und Unwägbarkeiten verbunden seien, heißt es in den Vertragsmodalitäten. Die Tatsache, daß ein anderes Medikament oder ein anderer Impfstoff früher die Zulassung erhielten, ändere nichts an der derzeitigen Situation, in der ein dringender Bedarf an der Vorbeugung der Ausbreitung der Covid-Infektion bestehe.

In dem im März 2021 unterzeichneten Vertrag mit dem Subunternehmen „Pfizer Export BV“ im Wert von einer Milliarde Dollar (etwa 859 Millionen Euro) stimmte auch die brasilianische Regierung zu, daß „eine Haftungsverzichtserklärung für mögliche Nebenwirkungen des Impfstoffs unterzeichnet wird, die Pfizer auf unbestimmte Zeit von jeglicher zivilrechtlichen Haftung für schwerwiegende Nebenwirkungen befreit, die sich aus der Verwendung des Impfstoffs ergeben“. Diese Art der Verzichtserklärungen ist seit etwa den 1980er Jahren vor allem im anglo-amerikanischen Raum zwischen den Ländern und den Pharamariesen Usus. Die EU hatte sich bis zuletzt dagegen gewehrt.

Pfizer verlangt von Brasilien Vermögenswerte als Sicherheit

Umgekehrt heißt es aber nun für Pfizer: „Im Falle einer Lieferverzögerung (ist) keine Strafe zu zahlen.“ Eine Haftung wird für den Konzern ausgeschlossen. Im Gegenteil: Den Staaten ist es nicht einmal gestattet, die Ware zu stornieren, wenn sie nicht pünktlich vor Ort ist. Sie müssen sich gedulden. Der Konzern sei nur dazu verpflichtet, „wirtschaftlich angemessene Anstrengungen zu unternehmen, um den Liefertermin einzuhalten“. Während also die Staaten vorab für ein unfertiges Produkt zahlen, bei dem es nicht mal sicher ist, ob es Marktreife erlangt, übernehmen die Hersteller im Falle einer Zulassung keine Garantien für die tatsächliche Unschädlichkeit des Produkts. Ein pikantes Detail ist zudem, daß Pfizer die Ware zwar zu einem vereinbarten Ort im Land liefert. Für die komplette Rückführung der Tranportbehältnisse ist aber wiederum das Abnehmerland zuständig.

Pfizer verlangte gar laut dem „Bureau of Investigative Journalism“, daß Brasilien und Argentinien staatliche Vermögenswerte als Sicherheiten hinterlegen, um eine Entschädigung zu garantieren, sowie einen Garantiefonds mit Geld auf einem ausländischen Bankkonto einzurichten. Im Falle eines Streits wäre ein Schiedsgericht in New York anzurufen. Der damalige Gesundheitsminister Eduardo Pazuello kommentierte diese Praxis im Januar folgendermaßen: „Jeder kennt die Klauseln von Pfizer bereits.“ Um zu ergänzen: „Vollständiger Haftungsausschluß für Nebenwirkungen von heute bis unendlich. So einfach ist das. Die brasilianischen Gerichte verzichten auf jegliche rechtliche Schritte gegen das Unternehmen. So einfach ist das. (Zusätzlich zu) brasilianischen Vermögenswerten im Ausland, die als Sicherheiten und langfristige Kaution für künftige Klagen im Ausland zur Verfügung stehen.“

Aus den Verträgen geht ferner hervor, daß Pfizer Brasilien deutlich billigere Impfungen als der EU anbot. Während das südamerikanische Land etwa 10 Dollar pro Dosis zahlte, mußte die EU 15,50 Euro (etwa 18 Dollar) pro Dosis hinblättern. Die Kontingentgröße kann hier nicht das Kriterium für diese Preisunterschiede gewesen sein. Brasilien kaufte mit 100 Millionen Impfdosen halb soviel wie die EU. Auch das zeitliche Gegenargument, die EU habe so fast ein Vierteljahr früher den Covid-Schutz erhalten können, macht keinen Sinn. Denn ein späterer Vertrag zeigt, daß sich die Preise für die EU sogar noch erhöhten. Statt den anfänglichen knapp 15,50 Euro pro Dosis rang Pfizer den Europäern für eine spätere Lieferung 19,50 Euro ab. Auch Moderna konnte seinen Preis gegenüber der EU von knapp 19,30 Euro auf 24,50 Euro steigern.

Der schwedische Impfstoffkoordinator Richard Berström lobte die EU sogar noch für diese Preise gegenüber der Nachrichtenseite „Investigate Europe“. Die Preise würden nicht anhand der Kosten, sondern am Wert festgemacht. Demnach „sollten die Impfstoffe von Moderna und Pfizer mehr als 100 Dollar pro Dosis kosten, das war die Ansicht der Märkte und der Analysten“, so Bergström, der bei den EU-Verhandlungen dabei war. Er zeigt sich zufrieden: „Diese Preise zahlen wir nicht.“

Biontech verkauft Impfstoff mit gigantischer Rendite

Die großen Pharmakonzerne jedenfalls dürften mit ihren Verhandlungsergebnissen der vergangenen Monate mehr als zufrieden sein. Das beweisen nicht zuletzt die Renditeerwartungen. Das Imperial College London ermittelte für die mRNA-Impfungen Produktionskosten von 1,18 Dollar für Biontech und 2,85 Dollar für Moderna. Unter Abzug der Distributionskosten wären somit für Moderna knapp 800 Prozent und für Biontech rund 1.800 Prozent Rendite möglich. In der Argumentation der Pharmariesen sind hier auch noch die risikobehafteten Entwicklungskosten einzupreisen. Im Fall von Astrazeneca ging das auch anders. Das britisch-schwedische Konglomerat bot seinen Impfstoff laut eigenen Angaben zum Selbstkostenpreis an, zumindest so lange, wie im Firmensitz im Cambridge die Meinung vorherrschte, daß noch Pandemie ist. Im Juli war das Ende in den Augen der Konzernleitung erreicht und die Preise konnten steigen.

Das Bündnis „People’s Vaccine Alliance“ hat sich die weltweit verhandelten Preise der Covid-Impfungen angesehen. Der übersetzte Name „Volks­impfstoff-Allianz“ ist angesicht der riesigen staatlichen Subventionsummen nicht ohne Witz. Dem Bündnis aus mehr als 70 Hilfs- und Entwicklungsorganisationen nach zahlte etwa Deutschland allein an die beiden mRNA-Impfstoffhersteller Biontech und Moderna rund 5,8 Milliarden Euro mehr als das Produkt in der Herstellung tatsächlich kostet.

Wie setzt sich also die Covid-Impfstoffproduktion fort? Vorerst läuft die Kampagne munter weiter – ein Ende ist nicht in Sicht. Nach Angaben des Handelsverbands International Federation of Pharmaceutical Manfacturers & Associations könnte die Produktion bis Ende des Jahres zwölf Milliarden Dosen überschreiten und ohne größere Engpässe bis Juni 2022 knapp 24 Milliarden erreichen. Bereits im Januar könnten genug Impfstoffe vorhanden sein, um jeden Erwachsenen auf jedem Kontinent zu impfen. Dann könnte das Angebot weltweit zum ersten Mal die Nachfrage übersteigen. Bis zum heutigen Tag hat sich derweil die EU schon rund 3,9 Millarden Dosen gesichert. Das genügt um jeden EU-Bürger viermal mit je zwei Schüssen zu impfen.

Schweizer Dokumentation über Gewinnoptimierung durch Big Pharma in der Corona-Krise (engl.)

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