© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Kapitän Jakob beschließt zu lieben
Literaturverfilmung: „Die Geschichte meiner Frau“ basiert auf einem Roman von 1942 und ist herrlich altmodisch
Dietmar Mehrens

Wenn ein Mann ankündigt, heiraten zu wollen, sollte er die Frau, mit der er dies zu tun gedenkt, zumindest schon mal kennengelernt haben. Nicht so Jakob Störr (Gijs Naber). Der holländische Seemann ist erst während der letzten Hochseereise auf die Idee gekommen, daß da etwas fehlen könnte in seinem Leben. Und woher die Dame kommen soll, mit der er sich vermählt, weiß er auch schon. „Die nächste Frau, die durch die Tür hereinkommt“, kündigt er seinem Freund an, während er mit ihm in einem Gasthaus sitzt, „die heirate ich.“ Jakob läßt Taten folgen, bittet die aparte Französin Lizzy (Léa Seydoux), seine Frau zu werden. Und die willigt ein!

Panoptikum einer untergegangenen Welt

So schön kann Literatur sein. „Die Geschichte meiner Frau“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Milán Füst (1888–1967). Der ungarische Schriftsteller hatte mit dem 1942 veröffentlichten Werk nicht nur eine „Epopöe der Eifersucht“ vorgelegt, wie die zeitgenössische Kritik befand, sondern auch die Grundbedingungen des Daseins von Mann und Frau als Individuen und in der ehelichen Gemeinschaft ausgeleuchtet. Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi hat sich von dem Romanstoff, der in den wilden Zwanzigern spielt, emanzipiert und aus dem klobigen Kapitän, der sich als gereifter Mann mit Chemie und seinen eigenen Memoiren beschäftigt, einen resoluten und kraftvollen Abenteurer gemacht, der sich mit seiner spontanen Verehelichung auf ein Abenteuer ganz neuer Art einläßt.

Lizzy ist nämlich eine typische Femme fatale: kühl, kapriziös und katzenhaft, dabei zugleich zu größter Leidenschaft fähig und immer angezogen auch von anderen Männern.

„Die Irrungen des Jakob Störr in 7 Lektionen“ lautet der Untertitel des Werks. In den sieben Lektionen, die der Film jeweils durch eine fette Kapitelüberschrift ankündigt, darf der Zuschauer den grobschrötigen Käpt’n durch die verschiedenen Etappen der mutmaßlichen Mésalliance mit seiner rätselhaften Erwählten folgen, und – man muß es so deutlich sagen – dabei wird die Zeit dem einen oder anderen mit Sicherheit doch ganz schön lang werden. Knapp drei Stunden dauert nämlich das Auf und Ab des Liebeskarussells, bis schließlich auch der letzte kapiert hat: „So etwas wie eine unschuldige Frau gibt es nicht.“ Das ist die Erkenntnis des Detektivs, den Jakob Störr schließlich auf seine Schöne, von ihrer Untreue überzeugt, angesetzt hat.

Trotz oder gerade wegen ihrer Länge verströmt die ungarisch-deutsch-italienisch-französische Koproduktion einen eigentümlichen Charme. Durch die Abfolge fein ins Bild gesetzter Szenen, die zunächst in Paris, dann, nach beruflich (und emotional) bedingtem Umzug, in Hamburg spielen, ersteht das Panoptikum einer untergegangenen Ära, in dem alles gefeiert wird, was heute aus der Mode gekommen ist: exquisite Manieren, rollende Kutschen, Dampfschiffe, Damen mit Hüten, Herren von Stand und Ehre. Die Hamburger Speicherstadt mit ihren Kontorhäusern aus rotem Verblendmauerwerk diente wie schon in dem Charakterdrama „Karakter“ (1997) als anmutige historische Kulisse. 

Ildikó Enyedis minutiöse Inszenierung ist ein Fest für alle, die im Gegensatz zu einer eitlen europäischen Polit-Aristokratie und deren nationalen Propagandisten das Eu-ropa, in dem wir aktuell leben, nicht für das beste halten, das es je gab. „Die Geschichte meiner Frau“, das ist Kino der Nostalgie, eine Reise in eine fremde, versunkene Welt, die, wer sich einmal in ihr verloren hat, selbst nach drei Stunden ungern wieder verläßt.

Kinostart ist am 4. November 2021

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