© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Frisch gepreßt

Anti-Anti-Semitismus. Die Unterscheidung zwischen „Anti-Semiten“ und ihren Gegnern, den „Anti-Anti-Semiten“, scheint so simpel zu sein wie die zwischen Feuer und Wasser. Doch wer so schematisch denkt, leidet für Elad Lapidot chronisch an intellektuellen Defiziten. Etwas höflicher formuliert, belegt der öffentliche Gebrauch derart realitätsferner Schubladen, um die sich indes alle bundesdeutschen Kontroversen zum Thema „Judenfeindschaft nach Auschwitz“ gruppieren würden, für den Berner Religionsphilosophen einen peinlichen „Mangel an Reflexivität“. Gingen doch auch die Kritiker des Antisemitismus „von einem bestimmten Idealtyp des Juden“ aus. Darum konstruierten sie, zwar positive statt negative Zuschreibungen verwendend, ebenfalls „die“ Juden als Kollektivsubjekt. Was ihre Strategie untergrabe, den Antisemitismus bekämpfen zu wollen durch radikalen Verzicht auf „Stereotype, Verallgemeinerungen und Essentialisierungen“. Woraus ihre „eigentümliche Entente mit dem Anti-Semitismus“ erwüchse. Diese „fatale Nähe“ analysiert Lapidot zunächst anhand der Kampagne gegen Martin Heidegger als angeblich antisemitischen Autor der „Schwarzen Hefte“, um dann in bis zur Spitzfindigkeit anspruchsvollen Exegesen die Auffassungen der „Judenfrage“ nachzuzeichnen, wie sie sich in Texten von Bruno Bauer, Marx und Dühring bis hin zu Horkheimer, Adorno, Sartre, Badiou und Nancy abgelagert haben. (dg)

Elad Lapidot: Anti-Anti-Semitismus. Eine philosophische Kritik. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2021, gebunden, 399 Seiten, 28 Euro





Lessing. Der Fragmentenstreit der späten 1770er Jahre, von Gotthold Ephraim Lessing angestiftet und rhetorisch gesteuert, gilt in der Geistesgeschichte als philosophisch brillante und siegreiche Auseinandersetzung der Aufklärung mit der christlich-lutherischen Theologie. Die Herausgabe der Wolfenbütteler Fragmente eines „Ungenannten“ mit ihrer seinerzeit schärfsten je auf deutsch vorgebrachten Kritik am biblischen Offenbarungsglauben und deren Verteidigung in der Auseinandersetzung mit den Apologeten brachte Lessing einen Platz als bedeutendster Aufklärungsphilosoph zwischen Leibniz und Kant ein. Doch schon Helmut Thielicke machte die „erstaunliche Feststellung“, daß Lessing der Orthodoxie argumentativ zuneigt und das Christentum mitnichten als widerlegt sah. Hannes Kerber nun rekonstruiert in erster Linie nicht den gut erforschten Verlauf des Streits, sondern zeichnet Lessings Absicht nach, zur Position des Ungenannten Distanz zu wahren, um die gegensätzlichen Argumente nur um so schärfer herauszuarbeiten. (ru)

Hannes Kerber: Die Aufklärung der Aufklärung. Lessing und die Herausforderung des Christentums. Wallstein Verlag, Göttingen 2021, gebunden, 286 Seiten, 34 Euro