© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Bauern in der Bredouille
Erforderliche Bestandsgrößen für ein ausreichendes Einkommen der Landwirtschaftsbetriebe
Alfons Janinhoff

Die Verbände im Agrardialog (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, Freie Bauern, Land schafft Verbindung, LSV Deutschland und Milchboard) fordern von der künftigen Bundesregierung eine von „ortsansässigen selbständigen Landwirten getragene“ Agrarbranche mit einer „Vielfalt an Betriebsgrößen und Produktionsrichtungen“. Notwendig seien Rahmenbedingungen, die „den Wachstumsdruck beenden: Es muß sich wieder lohnen, neue Betriebe zu gründen und zu bewirtschaften“, heißt es in dem Acht-Punkte-Papier. Tierhaltung sei „ein wichtiger Bestandteil von landwirtschaftlichen Kreisläufen“. Notwendig sei dabei auch „eine Größenbegrenzung für Stallanlagen“.

Sprich: Der Agrardialog fordert eine Einschränkung der Massentierhaltung. Doch wie viele Tiere je Halter bzw. je Stall sind damit gemeint? Lassen sich Obergrenzen für die Haltung von Rindern oder Schweinen festlegen? Auch beim Arbeitsaufwand je Tier gibt es enorme Spannweiten: Je Milchkuh können das 26 oder 60 Stunden je Jahr sein – abhängig von der Bestandsgröße des Hofes, der Haltungsform und dem Technikeinsatz. Eine Familienarbeitskraft ist durchaus gewillt, 3.200 Stunden im Jahr in der Milchviehhaltung zu arbeiten; ein Angestellter orientiert sich an anderen Branchen, wo 1.687 Stunden (45 Arbeitswochen à 37,5 Stunden) üblich sind.

Allein durch die Wochenenden und Feiertage kommen in einem Viehhalterhof wegen der Fütterungs- und Betreuungsarbeit 350 Stunden mehr hinzu. In größeren Sauen- oder Milchviehbetrieben summiert sich dies sogar auf sechs bis acht Stunden täglich, also 696 bzw. 928 Stunden im Jahr. Nimmt man ein Jahresarbeitseinkommen von 50.000 brutto an, dann ergeben sich je nach Erzeugerpreisniveau, Produktivität und Effizienz der Produktionstechnik sowie der unternehmerischen Fähigkeit des Bauern enorme Unterschiede.

Der Verfasser hat hierzu von 2015 bis 2020 die Wirtschaftlichkeit von Milchviehbetrieben, Bullenmästern und Schweinehaltern monatlich mit den aktuellen Erlösen und Kosten kalkuliert. Dabei blieb in der Milchviehhaltung ein durchschnittlicher Deckungsbeitrag (DB) von 1.200 Euro je Kuh und Jahr übrig. Von diesem DB wurden dann alle Fixkosten (Stallplatz, Betriebsausgaben, Zinsen) abgezogen; jedoch nicht die Lohnkosten. Dann verbleiben für die Entlohnung 350 Euro je Kuh und Jahr. Teilt man diesen Betrag durch den Arbeitsaufwand (einschließlich Futter und Gülleausfuhr), so erhält man eine Bruttostundenentlohnung von 9,21 Euro. Dabei müßte diese Arbeitskraft 143 Kühe täglich versorgen, um ein Jahreseinkommen von 50.000 Euro zu erzielen. Dann müßte diese Arbeitskraft aber im Jahr 5.428 Stunden jährlich arbeiten – mehr als das Dreifache als in Industrie oder Verwaltung.

Etwa zehn Prozent der Milchviehhalter erzielten 550 Euro je Kuh, also 200 Euro mehr. Damit kommen sie auf einen Bruttostundenlohn von 14,47 Euro – bei geringfügig erhöhten Fixkosten und fünf Prozent mehr Arbeitseinsatz. Bei 50.000 Euro Jahreseinkommen wären dann 91 Kühe von einer Person zu versorgen gewesen, was arbeitsmäßig kaum möglich ist: Das wären kalkulatorisch 3.454,5 Arbeitsstunden jährlich. Nur Milchvieh-Betriebe, die modernste Technik einsetzen, eine effiziente Arbeitsorganisation praktizieren sowie einen günstigeren Einkauf und besseren Verkauf haben, kommen auf unter 30 Stunden je Kuh und Jahr.

Enorm lange Arbeitszeiten und kaum kostendeckende Erlöse

Diese zehn Prozent Spitzenbetriebe erzielen einen Bruttostundenlohn von 20 Euro – bei etwa 2.500 Stunden Arbeitseinsatz im Jahr. Hier wären dann 67 Kühe je Arbeitskraft notwendig gewesen, was mit 2.000 Arbeitsstunden wohl noch möglich ist. Anders wäre die Situation gewesen, wenn der durchschnittliche Milchpreiserlös in den vergangenen sechs Jahren nicht bei 32,2 sondern bei 37,2 Cent pro Liter gelegen hätte. Diese fünf Cent mehr hätten die Stundenentlohnung um zwölf Euro verbessert und den DB um 450 Euro je Kuh und Jahr (bei 9.000 Kilogramm Milchjahresleistung je Kuh) erhöht. Zur Zeit liegt der Milchpreis bei 35 Cent. Daß die meisten analysierten landwirtschaftlichen Betriebe dennoch nicht pleite sind, ist ihrer „Selbstausbeutung“ und dem Steuerrecht zu verdanken: Der Lohn- und Zinsansatz von landwirtschaftlichen Familienbetrieben gehört zum Gewinn. Auch der kalkulierte Abschreibungsbetrag für das Stallgebäude ist Gewinnbestandteil, wenn dieses bereits komplett abgeschrieben ist.

Ähnlich ist die Situation in der Bullenmast. Die zehn Prozent Spitzenbetriebe erzielten 250 Euro je Bulle. Um 50.000 Euro Einkommen zu erwirtschaften, wären aber 200 Bullen von einer Person zu versorgen gewesen – bei 1.600 Stunden Arbeitszeit jährlich. Hinzu kommen aber noch 80 Hektar Ackerland, die ein durchschnittlicher Bullenmastbetrieb bewirtschaftet. So kommen noch 560 Stunden Jahresarbeitszeit hinzu. Erträglicher wäre die Situation gewesen, wenn der durchschnittliche Schlachterlös für den Landwirt nicht bei 3,68 Euro, sondern wie derzeit bei über vier Euro gelegen hätte. Dann wäre die Stundenentlohnung um 20 Euro besser gewesen und der DB hätte sich auf 150 Euro je Bulle und Jahr erhöht.

In der Mastschweinehaltung blieb im Schnitt ein DB von 24 Euro je Tier und Jahr übrig. Die kalkulatorische Bruttostundenentlohnung lag bei zehn Euro – bei 12.500 Mastschweinen jährlich und 50.000 Euro Jahreseinkommen. Dann müßte diese Arbeitskraft allerdings 5.000 Stunden im Jahr arbeiten. Die zehn Prozent Spitzenbetriebe erwirtschafteten einen Bruttostundenlohn von 25 Euro – bei 5.000 Mastschweinen pro Arbeitskraft und 2.000 Stunden Jahresarbeitszeit. Auch hier hätte schon ein um zehn Cent höherer Schlachtschweine-Erlös (1,65 statt 1,55 Euro je Kilo die Gesamtsituation für alle Schweinebauern verbessert. Doch derzeit liegt der Erlös sogar nur bei 1,25 Euro.

Die Einkommen der Bauernhöfe schwanken natürlich, und die genannten Zahlen sind nur Durchschnittsbeispiele, doch sie zeigen: Nicht nur Technik und Arbeitseffizienz, sondern auch die Zahl der gehaltenen Tiere entscheidet über Wohl und Wehe eines Bauernhofes. Bei niedrigen Abnahmepreisen für Milch und Fleisch können allenfalls Großbetriebe auskömmlich wirtschaften. Und für eine Molkerei ist ein Bauernhof erst bei mehr als 720 Kühen ein ernster Verhandlungspartner. Verbraucher, die oft zum billigsten Angebot greifen (müssen) sowie der anhaltende Preisdruck durch Billigimporte aus Ländern mit niedrigen sozialen und ökologischen Standards zwingt die Bauern aber faktisch zur „Massentierhaltung“ und zu hohen Milch-Leistungen je Kuh. Das kann auch eine künftige Ampel-Regierung kaum ändern.

Alfons Janinhoff ist Diplomagraringenieur. Er lehrte über 30 Jahre an der Fachhochschule Bingen.

Preise und Kosten von Bauernhöfen:  www.agrardaten-analysen.de

Foto: Lehrling bei der Tierfütterung: Um 50.000 Euro Einkommen zu erwirtschaften, müßte eine Arbeitskraft 143 Kühe täglich versorgen