© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Umwelt
Stiller Windradbruch
Tobias Dahlbrügge

Innerhalb von drei Tagen havarierten im Oktober zwei XL-Windkraftanlagen in NRW: In Neuenkirchen loderten die Flammen einer Windrad-Gondel wie eine Fackel weithin sichtbar in die Münsterländer Nacht. Der Feuerwehr blieb nichts anderes übrig, als den Bereich um die Anlage mit 77 Metern Rotordurchmesser großräumig abzusperren und das Maschinenhaus in 100 Metern Höhe kontrolliert abbrennen zu lassen. Glücklicherweise war das umgebende Maisfeld so naß, daß die brenned herabstürzenden Teile es nicht entflammen konnten. Die Anlage stammte aus dem Jahr 2002. Zwei Tage zuvor war ein Windrad-Koloß in Haltern am See zusammengebrochen und eingestürzt. Die Anlage zählte zu den größten in ganz Deutschland: Die Nabenhöhe maß 164 Meter, die Flügel erreichten eine Höhe von 239 Metern. Zum Vergleich: Die Spitze des Kölner Doms endet bei 157 Metern. Teile der zerstörten Anlage wurden wie Katapultgeschosse fortgeschleudert – zum Glück in ein unbewohntes Waldgebiet.

Abstürze von Rotorteilen oder gleich der gesamten Gondel gab es 34mal. Brände kamen bislang 56mal vor.

Der Sachschaden beträgt sechs Millionen Euro. Warum die Anlage, die erst ein halbes Jahr in Betrieb war, kollabierte, ist noch unklar. Die gigantischen Rotorblätter müssen als Sondermüll entsorgt werden. Was mit den beiden Rumpfanlagen passiert, ist offen. Es wird geprüft, ob sie instandgesetzt oder zurückgebaut werden. Beide Windräder zusammen hatten eine Nennleistung von sechs Megawatt (MW) – das AKW Grohnde, das zum Jahresende vom Netz geht, kommt auf 1.360 MW, das rheinische Braunkohlekraftwerk Neurath auf 4.211 MW. Der Bundesverband Windenergie erfaßt seit 2005 Havarien von Windkraftanlagen. Bis dato sind sieben umgeknickt. Abstürze von Rotoren, Rotorteilen oder gleich der gesamten Gondel gab es 34mal. Brände kamen bislang 56mal vor. Diese Dokumentation ist wohl unvollständig, da es keine offizielle Stelle zur Schadensmeldung von Windrädern in Deutschland gibt. Auch Unglücksfälle durch Eiswurf werden nicht zentral erfaßt. Vermutlich besteht daran wenig Interesse.