© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Der Flaneur
Provinz und Welt
Claus-M. Wolfschlag

Im Reisen sind die Deutschen Weltmeister. Sie habe sich gegen Corona impfen lassen, erzählt mir eine Bekannte am Telefon: „Ich will nämlich endlich wieder frei verreisen können.“ 

Da will ich als Mann von Welt doch nicht nachstehen und kaufe mir ein Bahnticket nach Würzburg. Die fürstbischöfliche Residenz harrt des Besuchs. Doch das klimafreundliche Reisen mit der Deutschen Bahn hat bekanntlich Tücken; wenigstens eine Konstante in der Pandemie. Auf der Rückfahrt stehe ich am Gleis und frage den Schaffner, wo mein ICE bleibt. „Der kommt nicht. Ist gestrichen“, lautet die Antwort lapidar.

Nun ist den Reiseberichten der Rentner das Tor geöffnet: Karibik, Thailand und der letzte Zipfel der Erde.

Ich bin perplex, die übliche Verspätung hatte ich sogar eingeplant. Nun aber ist der Folgetermin futsch. Ich werde auf eine Regionalbahn verwiesen, die nun gemütlich durch bewaldete Täler rollt.

Ab der Bahnstation eines kleinen Ortes, dessen Namen ich auch später auf keiner Karte finde, kommt Leben in den Waggon. Eine endlos lange Ausflugsgruppe bestens gelaunter Rentner steigt ein. Nun wird dank der im Dialekt geführten Gespräche ein Unterhaltungsprogramm geboten. 

Erst geht es um einen jungen Mann, dem von einer der Damen nachgesagt wird, zu „haschen“, dem aber die offenbar lustlose Polizei nichts nachweisen wollte. Dann gleitet das Gespräch zu einem bikulturellen Ehepaar, er Deutscher, sie Thailänderin. Deren Rhythmus, den Sommer in Deutschland, den Winter in Thailand zu verbringen, sei durch die Corona-Maßnahmen durcheinandergekommen. Sie hatten die kalte Jahreszeit in Mitteleuropa verharren müssen. 

Nun ist den Reiseberichten der Rentner das Tor geöffnet. Die eine erzählt von der Karibik, die andere ergänzt: „Wir sind immer nach Bangkok geflogen, und dann nach Phuket weiter.“ Ich betrachte die einfach wirkenden Frauen. 

Und ich erinnere mich an das unscheinbare ältere Ehepaar aus der Provinz, mit dem ich einst im Verlauf einer Bustour ins Gespräch kam, und das offenbarte, an fast allen Zipfeln der Erde bereits gewesen zu sein. Und plötzlich komme ich mir ganz provinziell vor.