© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Ländersache: Baden-Württemberg
Reform für „the Länd“
Kurt Zach

Die Bereitschaft zur Selbstverzwergung ist bei der baden-württembergischen CDU ungebrochen. Als Ministerpräsidentenpartei hatte sie jahrzehntelang verbissen das spezielle Wahlrecht im Land verteidigt, das große Parteien gegenüber kleinen und Platzhirsche gegenüber Neueinsteigern bevorzugt. Vorbei – nach der abermaligen Degradierung zum noch kleineren Juniorpartner der Grünen hat es gerade mal ein halbes Jahr gedauert, bis die CDU einen Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform unterschrieb. 

Der führt in Baden-Württemberg nicht nur Zweitstimme und Landeslisten ein, sondern senkt zudem noch das Wahlalter auf 16 Jahre ab. Jugendliche im Südwesten können in Zukunft also zwar immer noch keinen Mobilfunkvertrag alleine abschließen, aber dafür die Geschicke des Landes an der Wahlurne mitentscheiden. Für die Grünen, die längst die Lufthoheit in den Klassenzimmern erobert haben und bei den Erstwählern unangefochten stärkste Kraft sind, kommt das einem Abo auf künftige Mehrheiten gleich. Die Reform war im Koalitionsvertrag vereinbart worden; den hatten die grünen Wahlsieger diktiert und die CDU für ihre Unterwerfung generös mit Posten entlohnt. 

Der eigentliche Systembruch liegt indes in der Teilentmachtung der Direktkandidaten und der Basisorganisationen der Parteien in den 70 Wahlkreisen. Das bestehende Wahlrecht kennt nur eine Stimme, die Wahlkreisstimme – ohne lokal aufgestellten Kandidaten kann eine Partei im betreffenden Wahlkreis nicht antreten. Der Bewerber mit den meisten Stimmen ist direkt gewählt, die übrigen 50 Sitze werden nach dem Gesamtstimmenanteil der jeweiligen Partei auf die „besten Verlierer“ verteilt, und zwar getrennt nach den vier Regierungsbezirken.

Entsprechend stark ist die Position der Orts- und Kreisverbände: Sie entscheiden, wer eine Chance auf ein Landtagsmandat hat. Eben das ist den Grünen ein Dorn im Auge. Sie erhoffen sich von Landeslisten, die nach Quote und Proporz unter Regie der Parteiapparate aufgestellt werden, „mehr Frauen und junge Menschen“ im Parlament. 

Kritiker wie der Friedrichshafener Politikwissenschaftler Joachim Behnke warnen dagegen, die Listenwahl führe zu mehr Berufspolitikern ohne Lebenserfahrung und blähe den Landtag nach dem schlechten Vorbild des Bundestags noch weiter auf. Letzterer solle sich lieber am baden-württembergischen System orientieren als umgekehrt, legt Behnke nahe – in Übereinstimmung mit dem Konzept der AfD-Bundestagsfraktion für eine Wahlreform.

Der Frontverlauf ist paradox. FDP und AfD kämpfen gegen Grüne und Ex-Volksparteien für das bestehende Wahlrecht und wollen dem grassierenden Parlamentswildwuchs durch Überhang- und Ausgleichsmandate lieber mit einer Verminderung der Wahlkreise begegnen. Die Stärkung der Parteiapparate dürfte auch die an Stimmenschwindsucht leidende Landes-SPD bewogen haben, dem grün-schwarzen Reformvorschlag zur nötigen Zweidrittelmehrheit zu verhelfen. Über Landeslisten lassen sich vom Wahlkreisverlust bedrohte Parteigranden nun einmal einfacher „absichern“. Ein Aspekt, der zweifellos auch der CDU beim Krötenschlucken auf dem Abstiegspfad zur ewig zweiten Mittelpartei hilft.