© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Und jährlich grüßt das Murmeltier
CDU: Wieder einmal wählt die derangierte Partei eine neue Spitze/ Die möglichen Kandidaten kommen einem bekannt vor
Jörg Kürschner

Während die künftige Kanzler-Partei SPD die Nachfolge im Parteivorsitz innerhalb von zehn Tagen regelt, hat die CDU nach ihrem Wahldebakel größte Mühe, ihre Führungsfrage als künftige Opposition rasch zu lösen. Zu Wochenbeginn verdichteten sich die Hinweise auf eine (dritte) Kandidatur von Friedrich Merz für den Parteivorsitz. Auf den Nachfolger von Armin Laschet wartet nach 16 Jahren Kanzlerschaft unter Angela Merkel eine personelle und inhaltliche Neuausrichtung der CDU. Viel Zeit bleibt nicht, denn ab Ende März 2022 gilt es, vier Landtagswahlen zu bestehen. Drei CDU-Ministerpräsidenten – im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – sowie ein Vize-Regierungschef in Niedersachsen fürchten einen negativen CDU-Bundestrend. 

Merz ist ein wahrscheinlicher Bewerber, aber nicht der einzige, der die CDU aus der Krise herausführen will. Kandidieren wird wohl auch der Außenpolitiker Norbert Röttgen, der sich mit programmatischem Ehrgeiz als Politiker der Mitte empfiehlt und Merz im konservativen Lager verortet. Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn sowie der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann, sind als Teampartner im Gespräch, Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hält sich derzeit bedeckt. Nun stammen die Herren allesamt aus dem nordrhein-westfälischen und damit größten Landesverband. Während der Regionalproporz in der CDU schon immer eine Rolle gespielt hat, treibt die Partei seit der Merkel-Ära auch der Fetisch der Geschlechterquote um. Ein wenig verkrampft wirkt deren Bemühen, ihre Chancen mit Hilfe einer Frau als Stellvertreterin oder als Doppelspitze zu erhöhen. Genannt werden unter anderem Bundesvize Sylvia Breher (Nieder-sachsen), die Kieler Bildungsministerin Karin Prien, eine Quotenfreundin vom linken Parteiflügel, die sich als Warnerin vor einem Rechtsruck der CDU gefällt. Breher wie auch Prien gehörten zum „Zukunftsteam“ des gescheiterten Kanzlerkandidaten Laschet, was Konkurrentinnen wie die Fraktionsvizinnen Katja Leikert (Hessen) oder Nadine Schön (Saarland) zum Vorteil gereichen könnte. Röttgens Chefstrategin Ellen Demuth, eine Nachwuchshoffnung aus Rheinland-Pfalz, hatte dessen Kandidatur gegen Laschet zu Jahresbeginn unterstützt, ihm jetzt aber einen Korb gegeben. 

Merz, der an diesem Donnerstag seinen 66. Geburtstag feierte, wird sein Alter vorgehalten, auch von seiner einst unerschütterlichen Fangemeinde Junge Union. Auf dem Deutschlandtag des CDU-Nachwuchses hatte er kürzlich betont, daß „junge Besen“ gut kehren würden, aber „die alte Bürste“ die Ecken kenne. Für den Wirtschafts-Fachmann aus dem Sauerland ist die CDU ein „insolvenzgefährdeter Sanierungsfall“. 

Am Mittwoch kommender Woche endet die Bewerbungsfrist, erst auf einem Parteitag am 21./22. Januar soll der neue Parteichef gewählt werden. Voraus geht ein Mitgliederentscheid – erstmals in der Geschichte der Partei. Mit so einem langwierigen Verfahren will sich die SPD ihre Hochstimmung nicht vermiesen. Bereits am 11./12. Dezember wird die Parteispitze neu gewählt. An der Wiederwahl der Parteilinken Saskia Esken wird nicht gezweifelt. Nach dem Verzicht von Co-Chef Norbert Walter-Borjans dürfte Lars Klingbeil aus seinem Büro des Generalsekretärs in die Beletage wechseln; als Vorsitzender der Kanzlerpartei SPD. Der Pragmatiker strotzt vor Selbstbewußtsein: „Ein Wahlsieg reicht mir nicht.“

Von dieser Stimmungslage im Willy-Brandt-Haus ist man in der Parteizentrale der CDU weit entfernt. Auch mit Blick in die Länder. Soeben mußte der sächsische Landeschef Michael Kretschmer auf dem Parteitag ein maues Ergebnis hinnehmen. Gerade 76 Prozent erhielt der Ministerpräsident des Freistaates bei seiner Wiederwahl. Daß CSU-Chef Markus Söder extra nach Dresden gekommen war, um „den Michael“ zu unterstützen – vergebens. Bei der Bundestagswahl landete die einst erfolgsverwöhnte Sachsen-Union nur auf Platz drei, hinter AfD und SPD. „Wir müssen rausgehen, unsere Basis verbreitern. Machen Sie bitte alle mit“, appellierte ein hilflos wirkender Parteichef an die Delegierten.

Erste Machtproben mit den Ampel-Koalitionären

Einen Stimmungskiller anderer Art erlebten CDU und CSU bei der ersten Arbeitssitzung des Bundestages. Die neue Ampel-Mehrheit hat die Zahl der Mitglieder des Hauptausschusses auf 31 begrenzt, statt wie früher 47. In dem Gremium werden übergangsweise bis zur Konstituierung der ständigen Ausschüsse wichtige Themen beraten, wie aktuell die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Angesichts der thematischen Spannbreite müßten Fachpolitiker mitarbeiten können, was bei einer zu schmalen personellen Aufstellung kaum möglich sei, kritisiert Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer, der den Ampel-Koalitionären „machtpolitische Arroganz“ vorwirft. 

Doch es könnte für die Union noch schlimmer kommen. Die FDP beharrt weiter auf einer Änderung der Sitzordnung im Plenarsaal, will nicht mehr neben der AfD sitzen. Die Liberalen wollen mit der arg gerupften CDU/CSU-Fraktion die Plätze tauschen, im Präsidium wird die neu gewählte Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) dagegen stimmen. Möglicherweise als einzige. Ungemach droht auch anderen. Nachdem ihr Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, Michael Kaufmann, in der Eröffnungssitzung von den anderen Fraktionen brüsk abgelehnt worden war, befürchtet man in der AfD-Fraktionsführung weitere Nachteile. Es drohe eine weitere Verkürzung der Redezeiten zu ihren Lasten, hieß es gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. 

Foto: Norbert Röttgen (links), Friedrich Merz: „Insolvenzgefährdeter Sanierungsfall“