© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Sag’ mir, wo die Malocher sind
Paul Rosen

Der Bundestag sei „mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer“, spottete einst FDP-Mann Otto Graf Lambsdorff über die Konzentration bestimmter Berufe im Parlament. Doch die Pädagogen-Fraktion ist im neuen Bundestag längst nicht mehr so stark. Gerade 23 von den 736 Abgeordneten geben als Beruf Lehrer an. Vor ihnen liegen die Rechtsanwälte mit 109 Abgeordneten, dann kommen Politikwissenschaftler mit 34. Es folgen Bankkaufleute (16), Unternehmensberater (13) und Ärzte (13). Der Akademikeranteil im Bundestag steht im umgekehrten Verhältnis zur Bevölkerung. 88 Prozent der Abgeordneten und damit sechs Prozent mehr als in der vergangenen Legislaturperiode können einen Hochschulabschluß vorweisen. Unter den erwachsenen Bundesbürgern sind es 18,5 Prozent.

Allerdings sagen die Statistiken fast nichts darüber aus, ob Abgeordnete vor ihrer Wahl in den Bundestag Berufserfahrung gesammelt haben oder ob auf ihren Lebensweg eher die Beschreibung „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“ zutrifft. Denn nicht wenige Parlamentarier verstehen es, kunstvoll zu verschleiern, daß sie ein Leben außerhalb der Politik gar nicht kennen. Kevin Kühnert (SPD) ist so ein Fall. In seiner Vita für den Bundestag reduziert er seine Angaben auf ein Wort und gibt als Beruf „Angestellter“ an.

Praktische Berufserfahrung kann immerhin die Bundestagspräsidentin vorweisen. Bärbel Bas (SPD) arbeitete bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft, zunächst als Sachbearbeiterin und später bei der Betriebskrankenkasse. Arbeiter sind im Bundestag so gut wie gar nicht mehr zu finden: Einer der letzten ist Josip Juratovic (SPD), der als Schlosser bei Audi gearbeitet hat. In der Union ist Axel Knoerig, ein Politikwissenschaftler, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe. Arbeiter ist er nie gewesen.

Unternehmer gibt es erheblich mehr: 51 Abgeordnete geben diese Berufsbezeichnung an, im vorigen Bundestag sollen es aber noch 76 gewesen sein. Die meisten Unternehmer finden sich in der FDP-Fraktion mit 16. In der CDU/CSU Fraktion ging die Zahl der Unternehmer von 30 auf nur noch zehn zurück. Um die letzten Wirtschaftspolitiker Christian Freiherr von Stetten und Carsten Linnemann wird es einsam. Vorbei sind die Zeiten, als die Unionsfraktion noch gestandene Unternehmer und Handwerker vorweisen konnte, zum Beispiel die Bäcker Hansheinz Hauser und Ernst Hinsken oder den Müllermeister Michael Glos. Immerhin ist das Müllerhandwerk im neuen Bundestag noch mit Peter Ramsauer und Alexander Engelhard (beide CSU) präsent. Gerade noch sechs Landwirte sind im Bundestag zu finden – vier bei CDU/CSU und je einer bei FDP und AfD.

Einen klassischen Berufsweg vor der Wahl legte Muhanad Al-Halak (FDP) zurück. Er kam als Kind mit seinen Eltern aus dem Irak nach Deutschland und begann nach der Hauptschule eine Ausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik. Mit erspartem Geld bezahlte er den Meisterkurs und ist heute „Abwassermeister“. Erst danach ging er in die Politik.