© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Überraschung der Woche
Reden ist Silber
Björn Harms/ Christian Vollradt

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag ins Schloß Bellevue zu einer Gedenkveranstaltung unter dem Titel: „1918 – 1938 – 1989: Gedenken zum 9. November“ lud, sollten drei Redner persönliche Schlaglichter auf die historischen Ereignisse werfen: Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer blickte auf 1938, der Bürgerrechtler und ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn auf 1989, und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Emilia Fester auf den 9. November 1918. Während die Wahl der Referenten zu den Daten 1938 und 1989 gleich auf den ersten Blick naheliegend erscheinen, ist dies bei der dritten Referentin nicht der Fall. Was qualifiziert eine 23jährige Regieassistentin zum 9. November 1918 zu sprechen? Entsprechende Forschungen oder Veröffentlichungen von ihr zum Thema sind nicht bekannt. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT teilte Steinmeiers Sprecherin schon vergangene Woche mit: „Zu der Veranstaltung am 9. November sind die jeweils jüngsten Bundestagsabgeordneten jeder Fraktion eingeladen. Emilia Fester ist die jüngste Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestages. In dieser Eigenschaft wird sie bei der Veranstaltung die Rede von Philipp Scheidemann vortragen, mit der dieser am 9. November 1918 die Republik ausgerufen und den Grundstein für eine parlamentarische Demokratie in Deutschland gelegt hat.“ So weit, so nachvollziehbar. Doch Fester trug zusätzlich ihre Positionen zum Klimawandel und zum Tod von Migranten im Mittelmeer vor. Wußte das Bundespräsidialamt dies? Und wenn ja, warum hat es uns dies verschwiegen? Die Antwort aus Bellevue, die keine ist: „Da es für das Jahr 1918 keine Zeitzeugen mehr gibt, fiel die Wahl auf die jüngste Abgeordnete, die die historischen Worte Scheidemanns vorgetragen und zudem persönliche Bezüge zum historischen Text hergestellt hat.“