© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Ein kalter Winter droht
Bulgarien: Die dritte Wahl soll das Land regierbarer machen
Paul Leonhard

Die Sängerin Luna Jordanowa sieht das locker: „Alles ist eine Show. Das Leben selbst ist eine Show“, erklärt die Pop-Folk-Diva, die ihren Ring in die politische Runde geworfen hat. Sie möchte Präsidentin Bulgariens werden. Ein Initiativkomitee hat sie nominiert. „„Ich denke, daß ein Staatsmann in den Augen der Bürger nicht wie ein Machtsüchtiger aussehen sollte. Er hat getan, was er konnte oder nicht konnte, und es ist an der Zeit, mit Würde abzutreten und einer Präsidentin zu erlauben, ihre Qualitäten zum Ausdruck zu bringen“, erklärt Jordanowa in Richtung des jetztigen Amtsträgers Rumen Radew. 

Kaum jemand erwartet, daß die Lage besser wird 

Am 14. November werden die politischen Karten neu gemischt. Was das Parlament betrifft, zum dritten Mal in diesem Jahr. Ein Novum in der Geschichte des Balkanlandes ist, daß gleichzeitig Präsidentschaftswahlen stattfinden. Und sollte keiner der Kandidaten für das höchste Staatsamt die absolute Mehrheit erhalten, muß am 21. November erneut gewählt werden.

Derzeit stehen aber die Chancen für Amtsinhaber Rumen Radew ganz gut. Unterstützt von der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Partei „Es gibt ein solches Volk“ (ITN). Laut einer Umfrage der Agentur Gallup International Balkan würde er 51,2 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen, andere Umfragen sehen ihn nur bei 49 Prozent. Für den von der GERB-Partei aufgestellten Rektor der Universität Sofia, Anastas Gerdzhikow, würden 22,5, für Mustafa Karaday 7,9 und für Losan Panow 6,2 Prozent der Wähler stimmen.

Ohnehin gilt Radew als „der große Gewinner der Protestwelle und des aktuellen politischen Patts“, zitiert die Deutsche Welle Parwan Simeonow, Direktor von Gallup International Balkan: „Nach dem Ende der Ära Bojko Borissow ist er die stärkste politische Figur.“ Radew sei es gelungen, das Machtvakuum auszunutzen und geschickt neue politische Persönlichkeiten in Stellung zu bringen, aber auch die Korruption und den Machtmißbrauch unter Borissow, der die GERB jahrelang führte, ans Tageslicht zu bringen.

Komplizierter ist die Situation bei den Parlamentswahlen. Bei dem Urnengang im Juli war mit 24,1 Prozent die erst im Sommer 2020 gegründete populistische Partei ITN als Sieger hervorgegangen. Da aber deren Vorsitzender, der Sänger und Moderator Slawi Trifonow, ankündigte, nicht mit anderen Oppositionsparteien zu koalieren, sondern eine Minderheitsregierung bilden zu wollen, beauftragte Radew die Vorsitzende der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) als drittstärkster Kraft, Kornelia Ninowa, mit der Regierungsbildung. Der Versuch scheiterte, auch wenn die Sozialisten versuchten, sich wenigstens so lange zu halten, bis das Parlament den dringend benötigten Haushalt verabschieden konnte.

Ohne diesen droht dem Land ein kalter Winter. Das finanziell klamme Bulgarien wird aktuell von der EU ob des geplanten Baus des Kernkraftwerkes „Belene“, des noch offenen Ausstiegs aus der Kohleverstromung sowie wegen Gaslieferungsverträgen mit Rußland bedrängt. Als Ninowa Anfang September das Mandat zur Regierungsbildung zurückgab, mußte Radew die Doppelwahlen ansetzen, gegen die er sich lange gesperrt hatte, weil diese aus seiner Sicht „dem Geist der Verfassung widersprechen“.

Wahlprognosen gehen derzeit davon aus, daß sechs Parteien ins neue Parlament einziehen werden. Vorn in der Wählergunst sehen die Wahlforscher das Bündnis GERB-SDS („Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“) mit aktuell 22,3 Prozent. Mit um die 15 Prozent liegen die Sozialisten und die neue Formation „Wir setzen die Veränderung fort“ in etwa gleich auf. Letztere wurde von den Ministern für Wirtschaft und für Finanzen, Kiril Petkow und Assen Wassilew, gegründet. 

Die sich selbst als „Antisystempartei“ fühlende ITN liegt bei etwa 12,3 Prozent, „Demokratisches Bulgarien“ bei 11,8 und die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ bei rund zehn Prozent – alle also weit jenseits der Vier-Prozent-Hürde. Die Bürgerbewegung „Steh auf BG! Wir kommen“ liegt bei 3,7 Prozent. Insgesamt ringen 20 Parteien und sieben Koalitionen um die Gunst der rund 6,7 Millionen wahlberechtigten Bulgaren, von denen aber laut Prognosen nicht einmal jeder zweite an die Urnen gehen will.