© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Zündelei am Pulverfaß
Massive Spannungen im Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina: Die Serben im Teilstaat Republika Srpska proben den Aufstand
Hans-Jürgen Georgi

Es wird nicht so spektakulär werden, wie der schmachvolle Rückzug aus Afghanistan, aber wieder einmal steht die „Internationale Gemeinschaft“, sprich der Westen, vor dem Scheitern eines „Nation building“in Bosnien und Herzegowina (BiH). Seit 25 Jahren versucht sie die muslimischen Bosniaken, die orthodoxen Serben und die katholischen Kroaten zu einer Gemeinschaft zusammenzuschmieden. 

Dabei streben die Serben, die mehrheitlich in dem Teilstaat Republika Srpska leben, nach immer mehr oder gänzlicher Autonomie. Die bosnischen Kroaten, die zusammen mit den Bosniaken in der Föderation BiH (FBiH) leben, fühlen sich dort auch nicht mehr aufgehoben. Seit Jahren versuchen die Bosniaken, die demographisch die Mehrheit bilden, die Kroaten institutionell zu dominieren.

Die aktuelle Krise in Bosnien und Herzegowina begann mit der Wahl des Wunschkandidaten der deutschen Bundeskanzlerin, des ehemaligen Landwirschaftsministers Christian Schmidt zum Hohen Repräsentanten in BiH. Er wurde innerhalb des Rates für Friedensimplemantierung (PIC) ohne die Zustimmung der Russen berufen. Ihr Verbündeter in Bosnien-Herzegowina ist der Führer der serbischen Teilrepublik Republika Srpska (RS), Milorad Dodik. Schon immer auf der Suche nach mehr Autonomie „seiner“ RS, nimmt Dodik die in seinen Augen wider dem Dayton-Friedensvertrag erfolgte Ernennung des neuen Hohen Repräsentanten zum Anlaß, auch über eine friedliche Abspaltung der RS öffentlich „nachzudenken“. 

Die Gründe dafür sieht er im Nichtfunktionieren des Gesamtstaates, wozu er allerdings auch selbst wesentlich beigetragen hat. Dysfunktional ist nicht nur der Gesamtstaat, sondern auch die zweite Teilrepublik, die Föderation BiH. Seit Jahren kämpfen die bosnischen Kroaten um das abgesicherte Recht, ihre nationalen Vertreter selbst zu wählen.Gegen ein Wahlrecht, das ihnen das garantiert, sperren sich die Bosniaken. Weil es zu keiner Einigung kommt, sehen die bosnischen Kroaten seit 2018 keinen anderen Weg, als bestimmte Institutionen der Föderation und des Gesamtstaates zu boykottieren.

In diesem nicht funktionierenden Staat wirkt die Ankündigung einer Abspaltung wie ein Brandbeschleuniger. Die Bosniaken, die das nicht hinnehmen wollen, sprechen von „Verteidigung der territorialen Integrität“ mit allen Mitteln, was auch Krieg bedeuten könnte.

Die Stellung des deutschen Repräsentanten ist schwach

Im Laufe des Sommers eskaliert die Situation, als der scheidende Hohe Repräsentant, Valenti Inzko, die Leugnung des Genozids in Srebrenica und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe stellt. Die bosnischen Serben, die eine andere Sicht auf das Massaker von Srebrenica und auf die „Kämpfer“ für ihre Nation haben, antworten mit einem Gegengesetz. Strafe wird denen angedroht, die das serbische Volk als genozidal und die Republika Srpska als „Genozid-Schöpfung“ bezeichnen. Zudem werden die Beschlüsse des Hohen Repräsentanten auf dem Gebiet der RS für „unannehmbar“ erklärt. Die Stellung des Hohen Repräsentanten Christian Schmidt ist von Beginn an schwach. Rußland verweigert seine Anerkennung vom UN-Sicherheitsrat und selbst China betrachtet ihn nicht als legitim. Erst als die bosnischen Serben erklären, daß sie sich aus den über Jahre mühsam errungenen gemeinsamen Institutionen, wie aus den Streitkräften zurückziehen, zieht Schmidt hier eine „Rote Linie“.

Wieder einmal kommen die Amerikaner ins Spiel. Am vergangenen Wochenende besuchte der Spezialgesandte des State Department, Gabriel Escobar, Sarajevo. Als erstes versuchte er die Situation zu beruhigen, indem er klarstellte: „Es wird keinen Krieg geben.“ Zudem läßt er anklingen, daß Belgien durchaus ein Vorbild für einen Gesamtstaat BiH sein könnte. Escobar spricht mit allen Beteiligten, sowohl mit Mitgliedern des BiH-Präsidiums, dem auch Milorad Dodik angehört, wie auch mit Parlamentsvertretern. Zu einem abschließenden Ergebnis ist es erwartungsgemäß nicht gekommen. Von den Bosniaken, die mit den Ergebnissen nicht zufrieden scheinen, zog einer ihrer Abgeordneten einen interessanten Vergleich. Die Amerikaner hätten den Afghanen nach ihrem Rückzug vorgeworfen: Ihr wart nicht bereit zu kämpfen, warum sollten wir es sein.