© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Netzwerk der Gratismutigen
Üppig gefördert: Der Kampf gegen „Haßsprache“ läßt eine neue linke Branche entstehen
Eric Steinberg

Um vermeintlichen Beleidigungen und Belästigungen entgegenzutreten, formiert sich eine breite Front von Initiativen und NGOs im Ringen gegen „Hate Speech“ und dessen Verbreiter. Die Organisationen haben eines gemeinsam: Ihr Kampf richtet sich vor allem gegen rechte Botschaften und Positionen. Dabei als Verteidiger der Demokratie aufzutreten, beschert den Gruppen breite Unterstützung aus Politik und Gesellschaft. Tausende bestärken die Arbeit, indem sie Haßnachrichten nicht nur melden, sondern zusätzlich bereitwillig spenden. Auch der Bund tritt nicht selten als Geldgeber der Akteure auf. Der Kampf gegen Haß und Hetze hat schon lange oberste Priorität in den nichtstaatlichen Institutionen.  

Auch das Projekt Love-Storm.de hat sich dem gratismutigen Widerstand verpflichtet. Das Ziel ist klar formuliert: „Angegriffene stärken, Zuschauende gegen Haß aktivieren und Angreifenden gewaltfrei Grenzen setzen“. Damit das gelingt, bietet die Initiative kostenlose Online-Trainings an. Die Teilnehmer sollen dabei lernen, besser auf Haßsprache zu reagieren: „So kannst du deine eigene Situation besser reflektieren, daraus entscheiden, welche Strategien sich eignen und Dynamiken von Haßrede besser kontern“, heißt es auf der Website. Der Trägerverein Bund für soziale Verteidigung e.V. erhielt im Zeitraum von 2015 bis 2020 knapp 891.000 Euro aus der Staatskasse, unter anderem zur Finanzierung des „Liebessturms“.

Das ist jedoch nicht die einzige Initiative des Trägervereins. Im Impressum von „Netz Ohne Haß“ findet sich ebenfalls der Bund für soziale Verteidigung. Auch „Netz Ohne Haß“ bietet Training gegen Internethetze an – in Kooperation mit Love-Storm. Die Veranstaltungen sind teils identisch, personell gibt es zusätzliche Überschneidungen. Die beiden Kampagnen sind fest eingebettet in das breite Portfolio der selbsternannten Haßsprech-Rivalen.

Kampagnen richten sich hauptsächlich gegen Rechts

Zusammengehalten wird diese Blase unter anderem von Nettz, der „Vernetzungsstelle gegen Hate Speech“. Sie hat sich den Auftrag gegeben, die anderen Akteure sichtbar zu machen. „Mit der Vernetzungsstelle wird ein Ort im Netz geschaffen, in dem Initiativen und Projekte, die sich für eine digitale Zivilcourage und positive Debattenkultur einsetzen, zu finden sind“, ist auf der Internetseite zu lesen. Unterstützt wird „Das Nettz“ unter anderem von der Mercator-Stiftung und der Robert-Bosch-Stiftung.

Bei einem Blick auf den Twitter-Account fängt das Gerüst des neutralen Debattenwächters weiter an zu wackeln. Die Vernetzungsstelle positioniert sich nicht nur gegen Haß und Hetze, sondern spricht sich auch für „Fridays for Future“ (FFF) aus, teilt Tweets der linksradikalen Amadeu-Antonio-Stiftung und des Kampagnenunternehmens Campact. Auch Nadine Brömme, Leiterin des Projektes, teilt in den sozialen Medien kräftig aus. Die AfD nennt sie eine demokratie- und menschenfeindliche Partei. Jeder dritte habe bei der Bundestagswahl in Sachsen für die Partei gestimmt. „Es ist ein Desaster“, schreibt Brömme dazu. Fehlende Neutralität hindert den Bund jedoch keineswegs an einer finanziellen Förderung des Projektes. Im Zeitraum von 2017 bis 2019 wurde der Vernetzungsstelle eine Summe von etwa 376.000 Euro zur Verfügung gestellt. Der Trägerverein betterplace lab gGmbH erhält 2021 weitere Gelder in Höhe von etwa 350.000 Euro. 

Brömme reiht sich gekonnt bei digitalen Zusammenschlüssen wie „Die Insider“ ein. Der besonders auf Twitter aktive Rechercheverbund „wühlt in AfD-nahen Facebook-Gruppen und zeigt, wie die AfD redet, wenn niemand zuhört“, so die eigene Beschreibung. Daß diese Gruppen in den meisten Fällen keinen direkten Bezug zur Partei haben, scheint keine Rolle zu spielen. Mangelnde Unparteilichkeit und die Nähe zum linken Lager kann auch bei anderen Anti-Hatespeech-Organisationen beobachtet werden. Ichbinhier e.V., der mit der Gründung einer Aktionsgruppe für koordinierte linke Gegenrede bei Facebook-Kommentaren bekannt wurde, machen nicht nur Werbung für Seawatch und FFF. Auch hier finden sich erneut Retweets von Posts der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS), die mit dem Großteil der Sprachwächter vernetzt zu sein scheint. Die Tendenz ist klar: In den Themenbereichen, die die Stiftung behandelt – Rechtsextremismus, Antifeminismus und Gender –, sind auch die Kampagnen aktiv. Für die Bekämpfung von Linksextremismus und linkem Haß scheint es keine Kapazitäten zu geben. 

Miro Dittrich, von 2018 bis 2020 Leiter des AAS-Projekt „de:hate“ zu rechtsextremen, rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen digitalen Phänomenen, hat mit CeMAS sogar ein „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ mitgegründet. Ziel der systematischen Beobachtung von „Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus“ auf Online-Plattformen ist es, „demokratiefeindliche Tendenzen frühzeitig zu erfassen“ und die Analysen „verschiedenen gesellschaftlichen Akteur:innen zur Verfügung“ zu stellen, um „ihnen zu ermöglichen, gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen konstruktiv zu begegnen“.

Vernetzt ist Ichbinhier allerdings keineswegs nur mit der AAS, sondern auch mit HateAid, einer weiteren Institution zur Bekämpfung von Haß im Netz. Während erstere nach dem Professionalisierungsprozeß der vergangenen Jahre mittlerweile einige Seminare zum Umgang mit Hate Speech anbieten, konzentriert sich HateAid – gefördert vom Familien- und vom Justizministerium – vor allem auf den besseren Schutz von Opfern digitaler Gewalt. Klagen diese gegen Anfeindungen, übernimmt die Kampagne in geeigneten Fällen die Prozeßkosten. Werden die finanzierten Prozesse gewonnen, fließt die Geldentschädigung verpflichtend zurück an HateAid.

„Internethaß“ kann mittlerweile jedoch nicht nur über linkslastige Gerichtsprozesse, Gruppen, Online-Trainings und Website-Vernetzungen entgegengetreten werden. Das altmodische Petzen von Inhalten wird auf Hassmelden.de angeboten – Kooperationspartner ist die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Einfach die URL des angeblich verfänglichen Beitrags kopieren, in das Textfeld auf der Homepage der Initiative einfügen und auf „Melden“ klicken. Das funktioniert auch in der mobilen Variante. Für Apple iOS und Android gibt es eine eigene App: Haßbekämpfung für unterwegs. Das Angebot ist kostenlos und anonym. Gemeldet werden kann alles, was nicht in den eigenen Meinungskosmos hineinpaßt, ob strafrechtlich relevant oder nicht. Die Anti-Hetze-Aktivisten können sich hinter derselben Anonymität verstecken wie viele Hetzer selbst. Das spornt scheinbar an. Über 300.000 Meldungen seien bisher eingetroffen: „Und jeden Tag kommen 1.000 hinzu“, wirbt die Organisation im Internet. 90.000 seien nach juristischer Prüfung im nachhinein zur Anzeige gebracht worden. 

Die gesellschaftliche Freude an der Haßbekämpfung hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Zu beobachten ist dabei vor allem die Einseitigkeit im Vorgehen der Akteure. Der vielfach propagierte Kampf gegen Rechts steht im Mittelpunkt der Arbeit. Dabei werden vielfach die Augen vor anderen Formen der Hetze verschlossen. Islamismus und Linksextremismus bleiben ungeachtet. Diffamierungen scheinen kein Problem zu sein, wenn sie von den vermeintlich Guten ausgehen. Die Verwobenheit mit linken bis linksradikalen Organisationen bestätigt diese Tendenz noch.

Neue Software für automatische Erkennung

Aber auch die Wissenschaft entdeckt ihr Interesse für diesen Kampf gegen Haß. Die Hochschule Darmstadt hat vergangene Woche ein Forschungsprojekt vorgestellt, das eine Software zur automatischen Erkennung von „Haßrede“ im Internet entwickeln soll. „Die sozialen Medien wie Twitter, Facebook und auch die Kommentarspalten der Online-Präsenzen von Zeitungen und Radiosendern werden zunehmend von Menschen dominiert, die diffamieren, beleidigen und bedrohen“, teilten die Wissenschaftler mit. 

Sie arbeiten bei ihrem „Detox – Detektion von Toxizität und Aggression in Postings und Kommentaren im Netz“ genannten Forschungsvorhaben sowohl mit der hessischen Meldestelle für sogenannte „Haßkriminalität“, „Hessen gegen Hetze“, zusammen als auch mit dem Darmstädter Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie.

Foto: Mit dem Finger auf „Sprach-Verbrecher“ zeigen: Denunziation