© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Der letzte Samurai
Der Regisseur Werner Herzog über das Schicksal des japanischen Leutnants Hiro Onoda, der auf einer Philippineninsel seinen Kampf gegen den Feind weiterführte und bis 1974 nicht kapitulierte
Lorenz Bien

Der berühmte Filmregisseur Werner Herzog hat im Laufe seines Lebens nicht oft zur Feder gegriffen – bislang erblickten lediglich zwei Bücher das Licht der Welt. In „Vom Gehen im Eis“ (2009) schilderte er eine winterliche Wanderung von München nach Paris aus dem Jahr 1974. Im selben Jahr erschienen zudem mit „Eroberung des Nutzlosen“ die Tagebuchaufzeichnungen, die Herzog während der Dreharbeiten seines Films „Fitzcarraldo“ (1982) verfaßt hatte. Von der Kritik durchaus positiv aufgenommen, erreichte doch keines der beiden Werke den Bekanntheitsgrad seiner Filme. „Film ist nicht die Kunst der Gelehrten, sondern der Analphabeten“, lautet eine der vielzitierterten Aussagen des Meisters. Das Genie einer Dokumentation wie „Lektionen in Finsternis“ (1992), in der Herzog den Schrecken und die Faszination des zweiten Golfkrieges darstellte, bestand darin, die zerstörten irakischen Landschaften beinahe wortlos durch minutenlange Flugaufnahmen zum Sprechen zu bringen. Einige der von Herzog interviewten Überlebenden hatten mit dem Frieden zugleich auch das Sprechen verloren und verständigten sich hauptsächlich mit Gestik und Mimik. Worte hatten ausgedient, der Zuschauer mußte unmittelbar erfahren.

Sein Kampf gegen Amerikaner, den Dschungel und Dämonen

Und nun erscheint ein drittes Buch. Über knapp 110 Seiten hinweg verläßt Herzog seinen angestammten Platz hinter der Kamera und erzählt in „Das Dämmern der Welt“ die Geschichte von Hirō Onoda, Soldat und Nachrichtenoffizier der kaiserlichen japanischen Armee. 1944 auf der philippinischen Insel Lubang stationiert, bekommt er von seinem Vorgesetzten Major Taniguchi den Auftrag, das vorrückende US-amerikanische Militär durch Sabotageakte an der Eroberung der Insel zu hindern. Doch der Auftrag schlägt fehl, bald steht die Insel unter amerikanischer und philippinischer Kontrolle, und Onoda zieht sich mit drei weiteren Soldaten in den Urwald zurück, wo er, uninformiert darüber, daß der Krieg längst verloren ist, bis 1974 ausharrt. 

Ihre Nahrung müssen sie von philippinischen Bauern erbeuten. Zeit und Witterung zehren an ihrer Kleidung und Ausrüstung, bis die Uniformen zunehmend Lumpen ähneln und der Feldstecher von einem milchigen Pilz überzogen ist. Munition und Waffen legen sie in selbstgepreßtem Kokosöl ein und vergraben sie, um sie nicht unbrauchbar werden oder dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Außerhalb der Insel fallen Atombomben, Japan kapituliert, im nahen Korea und Vietnam beginnen weitere Kriege, doch davon wissen die Männer nichts.

Flugblätter, die auf der Insel auftauchen und das Ende des Krieges verkünden, halten sie für Feindpropaganda. Auch die Zeitung, die dem Trupp in die Hände fällt, muß nach Onodas Meinung eine Fälschung sein: „Außer der Titelseite (…), besteht fast die Hälfte aller verfügbaren Flächen aus Werbung. (…) Niemand wird je all diese Waren kaufen, das ist völlig undenkbar. Alle wirklichen Neuigkeiten haben sie zensiert und durch Werbung ersetzt.“ Nach und nach fallen Onadas Mitstreiter oder ergeben sich. Er hingegen bleibt im Dschungel, stellt dem Feind weiter Hinterhalte und wird zur lokalen Legende. Bis ihn dort 1974 der Student Norio Suzuki findet und ihm ein Versprechen abringt: Wenn er einen der damaligen Offiziere auf die Insel bringt und dieser Hiro bestätigt, daß der Krieg vorbei ist, wird er sich ergeben. 

Umrahmt wird die Kriegserzählung dabei von Herzogs persönlicher Bekanntschaft mit Onoda. Als er 1997 in Tokio zu Gast ist und zu einer Privataudienz mit dem Tennō eingeladen wird, lehnt er diese aus Zerstreutheit ab („Ein Fauxpas, so furchtbar, so dumm, daß ich noch heute für ihn in den Erdboden versinken möchte“). Auf die entgeisterte Frage, wen er stattdessen gerne treffen würde, antwortet Herzog ebenso spontan: Es ist Onoda.

Wie gelingt dem Regisseur also das Spiel mit der Sprache? Es ist jedenfalls kein nüchterner Bericht entstanden. Er glaube „etwas Wesentliches“ in der „Begegnung mit dem Protagonisten“ zu erkennen, schreibt Herzog zu Beginn. Dementsprechend ist die Sprache poetisierend, beinahe ekstatisch. Der Urwald „verharrt in Starre, in geduldiger Demut, bis das Hochamt des Regens zu Ende zelebriert ist“. Ameisen, „wenn sie aus rätselhaften Gründen innehalten, bewegen die Fühler. Sie haben poetische Träume.“ In dieser sehr bildhaften Art wird die Natur als ein Zustand beschrieben, der Onodas Sinn für Wirklichkeit ausschaltet. Am Ende des Buches wird Onoda eine Flasche Öl in seiner völlig zerschlissenen Uniform finden und sich wundern, daß sie noch dort ist. Was, so fragt Herzog, an Onodas Erlebnissen war real und wie soll er sich dessen vergewissern? „Viele Details“ des Buches „stimmen, viele stimmen nicht“, erläutert der Autor in einer Vorbemerkung. 

Ein solches Spiel erreicht nicht unbedingt die Genialität seiner bewegten Bilder, interessant ist es allemal.

Werner Herzog: Das Dämmern der Welt. Carl Hanser Verlag, München 2021, gebunden, 128 Seiten, 19 Euro

Foto: Hirō Onoda übergibt am 11. März 1974 als Zeichen der Kapitulation sein Schwert dem philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos (l.): Ein Treffen mit Onoda der Audienz beim Tenno vorgezogen