© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/21 / 12. November 2021

Homo Carnivorus
Die „Fleischfresser-Diät“ setzt auf tierische Eiweiße und verspricht Hilfe bei Erkrankungen
Maik Stüssel

Kind, iß deinen Brokkoli! Erst wenn du deinen Brokkoli aufgegessen hast, darfst du dein Fleisch essen.“ Die meisten von uns werden diesen oder ähnliche Sätze kennen, wenn sich unsere Eltern um eine vermeintlich gesunde Ernährung ihres Kindes sorgten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, täglich mindestens 400 Gramm Obst und Gemüse zu verzehren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) geht sogar einen Schritt weiter und empfiehlt mindestens 650 Gramm. Je mehr Obst und Gemüse man esse, desto geringer sei das Risiko für Krebs, Adipositas, Bluthochdruck und koronare Herzkrankheiten.

Tomaten & Co. seien unerläßlich, um gesund zu sein. Je mehr desto besser heißt es. Rotes Fleisch und Eier seien dagegen verantwortlich für Krankheit und natürlich auch für den Klimawandel. Stimmt das alles, oder werden uns seit unserer Kindheit grüne Lügen in Form von Möhren und Spinat aufgetischt?

Ernährungsexperten wie Paul Saladino legen nahe, daß uns die meisten Pflanzen nicht freundlich gesinnt seien, sondern sie aufgrund ihrer Antinährstoffe und toxischer Wirkung eher als feindlich einzustufen seien und daher unseren Tellern fernbleiben sollten. Saladino ist einer der wohl bekanntesten Vertreter der sogenannten „Carnivore Diet“, einer streng reglementierten Ernährungsform, die in ihrer strengsten Variante ausschließlich auf Fleisch, Fisch, Eier und insbesondere Innereien setzt, da diese die mit Abstand nährstoffreichsten und gesündesten Nahrungsmittel für den Menschen seien.

Kreuzblütler, Nachtschattengewächse, Bohnen, grünes Blattgemüse, Pflanzenöl und Getreide seien die Nahrungsmittel pflanzlichen Ursprungs mit den meisten Antinährstoffen und sollten dementsprechend aus den Küchen des Menschen verbannt werden. Zu den größtenteils unbedenklichen pflanzlichen Nahrungsmitteln zählen laut Saladino Beerenfrüchte, Avocados, Oliven, Orangen, Bananen, Äpfel, Ananas, Datteln, Kürbisgemüse sowie Honig. Sie könnten bedenkenlos in moderaten Mengen verzehrt werden, um dem menschlichen Fleischfresser etwas geschmackliche Abwechslung zu ermöglichen. Dennoch sollte der Hauptfokus auf den tierischen Lebensmitteln liegen und ca. 80 Prozent der täglichen Kalorien in Form von Fett und Eiweiß bereitstellen.

Shawn Baker gilt als einer der renommiertesten Vorreiter und Vertreter der „Fleischfresser-Diät“. Der Mediziner und ehemalige Militärchirurg, der  verschiedene Weltrekorde im Bereich des Kraftdreikampfs hält, offenbart in seinen zahlreichen Podcasts, daß er seit Jahren nichts anderes esse außer fettreiche Steaks, Innereien, Fisch und Eier. Selbst die obligatorischen Früchte würden keinen Platz in seiner Küche finden. Wer den 54jährigen Baker auf seinen Social-Media-Kanälen sieht, wird nicht schlecht staunen, wenn er scheinbar ohne große Mühe Gewichte drückt, beugt und hebt, von denen die meisten halb so alten Kraftsportler nur träumen.

Beliebt bei Sportlern

Seinen wohl populärsten Auftritt hatte Baker im Dezember 2017 im Rahmen der 1050. Episode des Podcasts „The Joe Rogan Experience“, die viele kontroverse Diskussionen rund um seine Ernährungsweise und seine Tätigkeit als Arzt auslöste. Neben Baker bekannten sich unter anderem der klinische Psychologe Jordan Peterson sowie seine Tochter Mikhaila im Rahmen der Podcastfolge dazu, ausschließlich Fleisch zu konsumieren. Bei letzterer seien verschiedene Autoimmunerkrankungen, Arthritis sowie psychologische Beschwerden der Grund dafür gewesen, gänzlich auf pflanzliche Nahrungsmittel zu verzichten und ausschließlich Fleisch zu essen.

Auch wenn der Widerstand gegen die verschiedenen Formen der „Carnivore Diet“ im medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Umfeld außerordentlich groß ist, erfreut sie sich zunehmend großer Beliebtheit unter Menschen, die wie Mikhaila Peterson unter Autoimmunerkrankungen und psychologischen Beschwerden, oder Übergewicht leiden, und formt eine stetig wachsende Gemeinschaft, die außerhalb der herkömmlichen Methoden in Form von Medikamenten ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen.

Selbst Ausnahmesportler wie der ehemalige UFC-Champion im Welter- und Mittelgewicht Georges St. Pierre sowie Bodybuilder Ben Pakulski und viele mehr experimentieren mit der „Carnivore Diet“, um neben ihrem allgemeinen Wohlbefinden, insbesondere ihre ohnehin herausragenden sportlichen Leistungen zu verbessern.

Foto: Einige Wissenschaftler preisen den Verzehr von Steak, Innereien und Co.: Entgegen offiziellen Empfehlungen