© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Christoph de Vries. Der Hanseat ist der neue vertriebenenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Dem Neuen eine Chance
Gernot Facius

Hamburg ist seine Heimat. Hier ist Christoph de Vries 1974 geboren und aufgewachsen, hier hat der HSV-Fan in der CDU Karriere gemacht. Er sei „durch und durch Hanseat“ – und doch ist der Sohn eines Exportkaufmanns eher ein untypischer Vertreter der Elbmetropole. Denn der Katholik hat von Mutters Seite her sudetendeutsche Wurzeln. Von daher rührt seine Aufgeschlossenheit für die Heimatvertriebenen, und nun ließ sich der Diplom-Soziologe, der seit 2017 im Bundestag sitzt, zum neuen Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten in der Unionsfraktion wählen – als Nachfolger des Lüneburgers Eckhard Pols, der nicht mehr ins Parlament zurückgekehrt ist. 

De Vries möchte die personelle Verjüngung und „inhaltliche Erneuerung“ der Heimatpolitik. Wie diese konkret aussehen soll, läßt er allerdings im Nebel: „Wir wollen im anstehenden Modernisierungsjahrzehnt den Bogen zwischen Heimat, Tradition und Innovation spannen.“ Und er mahnt, die deutschen Minderheiten, deren Rechte „aktuell in Polen unter Druck stehen“, brauchen eine Stimme. Auf jeden Fall verfolgt de Vries ein ehrgeiziges Ziel, und um es zu erreichen, braucht er Mitstreiter. Kein leichtes Unterfangen in der geschrumpften Fraktion und in einer Zeit, in der Fragen zu Heimatverbundenheit, dem kulturellen Erbe Deutschlands und der Identität von einer künftigen Ampel-Regierung sicher noch destruktiver beantwortet werden als bereits von Schwarz-Rot. 

Er scheut sich nicht, Kritik an der Kanzlerin zu üben. Mit dem Etikett „konservativ“ kann er aber wenig anfangen. 

„Meine Vorstellung von Politik ist, anders als bei Angela Merkel, stärker von Prinzipien geleitet, nicht von grenzenlosem Pragmatismus. Man braucht einen inneren Kompaß“, bekennt er und betont: „Ich habe nie Politik gemacht um der Karriere willen, sondern um meine Überzeugungen durchzusetzen.“ Richtig, de Vries hat sich des öfteren auch mit Kritik an der Kanzlerin zu Wort gemeldet. Vor allem in der Islam-Frage hält er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: „Die deutschen Institutionen sind vielfach zu sorglos im Umgang mit Vertretern des politischen Islam. Wir brauchen hier dringend einen Neustart.“ Religiösen Extremisten müsse man mit Distanz und Ächtung begegnen, man dürfe nicht dem Irrglauben verfallen, sie für Dialog und Demokratie gewinnen zu können. Auch scheut er nicht den Konflikt mit dem türkischen Moscheeverband Ditib, den er den „verlängerten Arm Erdoğans“ nennt. Und jüngst verwies er auf neue Alarmsignale: „Im Oktober gab es mehr illegale Einreisen über Polen als im gesamten Zeitraum Januar bis September.“

Natürlich aber versteht sich der Unionist als „leidenschaftlichen Europäer“, die Einigung des Kontinents „fasziniere“ ihn. Das motivierte ihn auch, sich als Jugendlicher für die CDU zu entscheiden, Helmut Kohl war sein Vorbild. Dennoch, mit dem Etikett „konservativ“ kann er, wie er gesteht, wenig anfangen, lieber lobt er seine Partei für ihre „Breite und Weltoffenheit“. 

Das alles klingt unterm Strich sehr angepaßt. Doch kann man froh sein, daß sich  überhaupt noch jemand aus der Enkelgeneration politisch für Vertriebenenbelange einsetzt. In allen anderen Parteien sind diese längst erledigt. Und selbst in der AfD ist es ein Nischenthema. Christoph de Vries hat eine Chance verdient.