© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Kein „Weiter so“?
CDU: Im Rennen um den Vorsitz hat Merz die besten Karten
Christian Vollradt

Helge wer? Nicht nur unpolitische Zeitgenossen, auch manches CDU-Mitglied fragte sich, wer denn dieser Kreisvorsitzende aus Gießen sei, der Ende vergangener Woche seinen Hut als Kandidat für den Parteivorsitz in den Ring geworfen hatte. Bundesminister für besondere Aufgaben, soso. Ach, der Chef von Merkels Kanzleramt … 

Helge Braun, der im September sein Direktmandat verloren hatte, aber über die Landesliste für eine fünfte Legislaturperiode in den Bundestag einziehen konnte, hatte kaum jemand auf dem Zettel, wenn es um die Frage der Nachfolge für den eher glücklosen Armin Laschet an der Spitze der CDU ging. Selbst sein hessischer Landesverband – einschließlich des Ministerpräsidenten Volker Bouffier – sei überrascht worden. Eine Wahlempfehlung des Landesvorstands zugunsten des Mediziners werde es nicht geben, heißt es in Parteikreisen. Bouffier hatte sich im Vorfeld der Kanzlerkandidatenfrage massiv für Armin Laschet stark gemacht und dessen Ambitionen im Bundesvorstand unterstützt. Seit dem desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl gilt der Landesvorsitzende in den eigenen Reihen als angeschlagen. Würde er nun Braun im Rennen um den Bundesvorsitz unterstützen, dessen Chancen überwiegend als eher vernachlässigbar eingeordnet werden, drohte ihm eine weitere Beschädigung seiner Autorität.

In einem Schreiben wandte sich der Überraschungskandidat Braun an die Parteimitglieder und wirbt mit seiner Karriere „an der Seite von Angela Merkel“, wo er  „viel lernen“ durfte: „Wir haben Krisen bewältigt und Deutschland gut regiert – und sind dabei immer geschlossen aufgetreten.“ Aus dieser Zeit bringe er „sehr viel Wissen in allen Politikfeldern mit, das ich in unseren inhaltlichen Erneuerungsprozeß einbringen will.“ Warum sich der Noch-Kanzleramtschef anschließend auch noch ausgerechnet auf seine Erfahrung als Narkosearzt – also quasi als professioneller Einschläferer – beruft, bleibt sein Geheimnis. 

„Wo sind die klugen und eigenständigen Köpfe?“

Für eine „grundlegende Erneuerung“ der CDU hatte sich auch der Außenpolitiker und Bundestagskollege Norbert Röttgen ausgesprochen, als er seine erneute Kandidatur für den Prteivorsitz – wiederum als erster – bekanntgegeben hatte (JF 46/21). Nur so könne sie als Volkspartei der Mitte bestehen bleiben, ein ‘Weiter so’ darf es nicht mehr geben“. Darin dürfte ihm der derzeit wohl aussichtsreichste Anwärter zustimmen: Friedrich Merz. Am Montag nominierte ihn sein Kreisverband im Sauerland, Dienstag stellte der zweimal knapp Unterlegene der Öffentlichkeit seine Kampagne vor. Nicht zuletzt um seinen innerparteilichen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, trat Merz in Begleitung des früheren Berliner Sozialsenators Mario Czaja als Generalsekretär sowie der jungen Bundestagsabgeordneten Christina Stumpp aus Baden-Württemberg auf. Beide hatten im September wie Merz ein Direktmandat für den Bundestag gewonnen.

Den Sozialpolitiker Czaja will Wirtschaftsmann Merz zum CDU-Generalsekretär küren lassen, Stumpp soll – nach einer Satzungsänderung – Stellvertretende Partei-Generalin werden. Der These, er stehe für einen „Rechtsruck“, trat der Sauerländer erneut entgegen und schloß jegliche Kooperation mit der AfD aus. Merz’ größte Anhängerschaft findet sich unter den Resten des konservativen Flügels,  in den mitteldeutschen Landesverbänden, im Wirtschaftsflügel und in der Jungen Union. 

Bei den Amtszeiten ihrer Vorsitzenden gibt es in der CDU, die sich sonst stets als (letzten) Hort der Mitte preist, nur Extreme: entweder extrem kurz oder extrem lang, den Mittelweg in puncto Dauer des Vorsitzes scheinen die Christdemokraten nicht zu kennen: 25 Jahren Helmut Kohl, 18 Jahren Angela Merkel, 16 Jahren Konrad Adenauer stehen die Kurzzeit-Chefs gegenüber. Der Noch-Vorsitzende Armin Laschet wird es auf gerade einmal 12 Monate bringen (siehe Grafik). Offiziell wählen wie gewohnt die Delegierten auf einem Bundesparteitag im Januar den Vorsitzenden. Doch zuvor ist die Basis in Form einer Mitgliederbefragung am Zug, deren Ergebnis zwar nicht formal, wohl aber faktisch bindend ist. Ungeachtet aller Vorbehalte insbesondere im „Establishment“ (Merz) der Union gegen solche plebiszitären Elemente, ließ sich diese Art der Basisdemokratie nicht mehr aufhalten. Letztlich gab man dem Druck von unten, aus der Jungen Union sowie aus vielen Kreisverbänden nach. Erstens weil mit den zuvor noch praktizierten Hinterzimmer-Entscheidungen der erhoffte Erfolg ausblieb, zweitens weil der Zustand der Partei zu augenfällig desolat ist. 

„Was haben einige ‘Führungskräfte’ aus dieser Union gemacht“, fragte jüngst der Vorsitzende eines norddeutschen Landesverbands seine Parteifreunde per Rundschreiben. „Wo sind unsere Kernkompetenzen und klaren Positionen ... wo sind die klugen und eigenständigen Köpfe, wo ist die breite Aufstellung als Volkspartei?“ Ob er Antworten darauf findet, wird auch von den Entscheidungen der nächsten Wochen abhängen.

 Kommentar Seite 2





Amtszeit der CDU-Vorsitzenden

Konrad Adenauer 1950 – 1966

Ludwig Erhard 1966 – 1967

Kurt Georg Kiesinger 1967 – 1971

Rainer Barzel 1971 – 1973

Helmut Kohl 1973 – 1998

Wolfgang Schäuble 1998 – 2000

Angela Merkel 2000 - 2018

Annegret Kramp-Karrenbauer 2018 – 2021

Armin Laschet 2021 – 2022