© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Maas markiert den starken Mann
Migrationskrise: Die künftigen Ampel-Koalitionäre halten sich mit Aufnahmeangeboten betont zurück / „Zurück in Herkunftsländer“
Peter Möller

Die Migrationskrise an der Grenze zwischen Polen und Weißrußland hat Berlin kalt erwischt. Angesichts der laufenden Regierungsbildung ist Deutschland derzeit nur eingeschränkt handlungsfähig. Klar scheint allerdings: Niemand in Berlin möchte, daß Bilder von Reisebussen um die Welt gehen, mit denen die im Grenzgebiet Gestrandeten nach Deutschland gebracht werden. Zu groß scheint die Gefahr, dadurch könnten ähnlich wie 2015 neue Flüchtlingsströme ausgelöst werden.

„Wir werden sie mit Flugzeugen nach München schicken“

Zumindest offiziell geben sich die politisch Verantwortlichen in Berlin daher bei der Frage der Aufnahme von Migranten derzeit so zugeknöpft wie lange nicht mehr. Das läßt sich auch an den Äußerungen des geschäftsführenden Außenministers Heiko Maas (SPD) ablesen. „Ich würde dafür plädieren, daß die Menschen, die dort sind in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden“, sagte er am Montag nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel. Man sehe, daß Menschen mit Flugtickets nach Minsk flögen. „Diejenigen, die politisches Asyl bekommen, haben meistens andere Wege, die sie nehmen müssen“, machte Maas deutlich. Worte zur Flüchtlingspolitik, die in dieser Deutlichkeit einem SPD-Politiker lange nicht über die Lippen gekommen sind.

Dahinter steht, neben dem Widerstand der anderen EU-Staaten, weitere Einwanderer in die EU zu lassen, nicht zuletzt auch Rücksichtnahme auf die laufenden Ampel-Koalitionsverhandlungen. Obwohl sich SPD, Grüne und FDP grundsätzlich auf eine flüchtlingsfreundliche Politik einigen dürften, gibt es durchaus Differenzen, die noch ausverhandelt werden müssen. Druck von außen ist dabei wenig hilfreich – das weiß natürlich auch der politische Gegner. Mehrfach hat die Union in den vergangenen Tagen daher versucht, in der Frage der Migranten an der polnisch-weißrussischen Grenze einen Keil zwischen die Ampel-Parteien zu treiben. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), verwies in der vergangenen Woche genüßlich auf die Sondierungsergebnisse von SPD, Grünen und FDP, in denen unter anderem festgehalten worden war, die Ampel-Koalition wolle „mit den europäischen Partnern Anstrengungen (...) unternehmen, das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden“. Die „Erfolglosigkeit der Grünen im Bereich der Klimapolitik“ solle offenbar überkompensiert werden durch eine „einladende Migrationspolitik“, sagte Frei mit Verweis auf die entsprechende Passage des Sondierungspapiers. Er forderte die SPD auf, „daß sie die Mitte nicht verläßt in der Migrationspolitik, daß sie sich von den Grünen nicht nach links ziehen läßt“. Er sei hier besonders auf die FDP gespannt, „die im Grunde genommen das Gegenteil von dem sagt, was die Grünen wollen“. 

Der Vorstoß Freis ist vor allem mit Blick auf die seit 2015 eingeschlagene Migrationspolitik der noch geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr als erstaunlich und zeigt, daß die Union in der Flüchtlingsfrage bereits auf Oppositionskurs umgeschaltet hat und der AfD dieses Thema nicht kampflos überlassen will. In deren Reihen wiederum wurden Stimmen laut, die guten Beziehungen zu Rußland, mit denen sich führende AfD-Politiker gerne schmücken, in dieser Krisensituation doch einmal unter Beweis zu stellen. 

Unterdessen haben mehrere deutsche Städte sich bereit erklärt, Migranten aus dem weißrussisch-polnischen Grenzgebiet aufzunehmen. Darunter Köln, München, Freiburg, Göttingen und Gießen. „Die Entwicklungen an der Grenze zwischen Polen und Belarus sind auch aus Sicht der Stadt Gießen besorgniserregend“, sagte eine Sprecherin der Stadt auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT. „Die Stadt wird selbstverständlich allen Verpflichtungen nachkommen, die im Rahmen der Unterstützung und Unterbringung von Geflüchteten auf sie zukommen.“ Gießen sei im Zusammenhang mit dem Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ bereits mit anderen Kommunen im Gespräch.

Den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko dürften diese Ankündigungen freuen. Zwar beteuerte er am Montag laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta, sein Land ermuntere die Migranten, in ihre Herkunftsstaaten zurückzukehren. Doch diese wollten nicht. In diesem Zusammenhang erwähnte Lukaschenko auch Münchens Aufnahmeangebot. Die staatliche Fluggesellschaft „Belavia“ könne die Migranten dorthin fliegen, wenn Polen keinen „humanitären Korridor“ hierfür einrichte. „Wir werden sie mit unseren eigenen Flugzeugen nach München schicken, falls nötig.“