© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ganz neue Erfahrungen
Paul Rosen

Für das kurze Interregnum zwischen dem Ende der alten Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) und der Wahl eines neuen Bundeskanzlers hat der Bundestag zu einem inzwischen bewährten Mittel gegriffen. Da die Fachausschüsse des Parlaments erst gebildet werden können, wenn der Zuschnitt der Ministerien feststeht, gibt es wieder einen Hauptausschuß, der vorübergehend an die Stelle aller anderen Ausschüsse tritt. „Es werden wichtige Entscheidungen zu treffen sein, bevor ein Ampel-Bündnis abgeschlossen werden kann“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, in der Debatte. 

So einen Hauptausschuß hatte es bereits nach den Bundestagswahlen 2013 und 2017 gegeben. 2017 lief er relativ lange, weil der Versuch, eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP zu bilden, nach zähem Ringen gescheitert war und die Union daraufhin Verhandlungen mit der SPD zur Bildung einer Großen Koalition begann. Die waren letztlich erfolgreich. Diesmal soll es schneller gehen: „Der Hauptausschuß wird nur kurz bestehen“, kündigte Marianne Schieder (SPD) an. Gerade zwei Sitzungen seien geplant.

Die Unionsfraktion hat zwar nichts gegen das Gremium. Schließlich habe sie es erfunden, wie ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer in der Einsetzungsdebatte betonte. Was der Union mißfiel: Statt 47 Mitglieder wie vor vier Jahren gehören dem Hauptausschuß jetzt nur 31 Mitglieder an. Die Union wollte lieber 39 Mitglieder haben, was ihr drei zusätzliche Sitze eingebracht hätte. Doch da bissen Grosse-Brömer und Kollegen bei den neuen Koalitionspartnern auf Granit. Der Antrag der Union wurde abgelehnt, was diese gleich als „Arroganz der Macht“ kritisierte – übrigens ein Vorwurf, den sich Grosse-Brömer in der vergangenen Legislaturperiode selbst regelmäßig anhören mußte. Jetzt durfte die Union im Plenum neue Erfahrungen machen: nämlich daß ihre Anträge abgelehnt werden. Die entsetzten Mienen der CDU/CSU-Abgeordneten sprachen Bände.

Zu den dringenden Aufgaben des Hauptausschusses in der ersten Sitzung gehörte die Beratung von zwei Gesetzen, zu denen es auch eine Anhörung gegeben hatte: Einmal wurden Änderungen am Infektionsschutzgesetz vorgenommen, um auf die erhöhten Corona-Infektionszahlen zu reagieren. Das zweite Vorhaben brachte die Union auf die Palme. Betroffen von einer Änderung der Umsatzsteuer sind kleine Landwirte, die über eine Änderung am Umsatzsteuersystem bis 2025 mit 365 Millionen Euro mehr Steuern belastet werden sollen. „Nicht eine einzige volle Sitzungswoche haben Sie abgewartet, um das erste Steuererhöhungsgesetz auf den Weg zu bringen“, kritisierte Antje Tillmann (CDU) die angehende Ampel-Koalition, deren Partner als Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche versprochen hatten, keine Steuern zu erhöhen. Und die FDP habe nicht einmal eine Woche standgehalten, erinnerte Tillmann die Liberalen an ihren früheren Ruf als Umfallerpartei.