© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Tschüßle, Störenfried?
Parteiausschlußverfahren: Baden-Württembergs Grüne wollen den prominenten Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer endgültig loswerden
Peter Freitag

Jetzt ist es offiziell: Baden-Württembergs Grüne wollen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer aus der Partei werfen. Ein entsprechender, 33 Seiten umfassender Antrag sei sowohl der zuständigen Kreisschiedskommission der Grünen in Tübingen als auch Palmers Anwalt zugestellt worden, teilte eine Parteisprecherin am Montag in Stuttgart mit. „Durch seine seit Jahren auftretenden Provokationen hat Boris Palmer vorsätzlich und erheblich gegen die Grundsätze sowie die Ordnung unserer Partei verstoßen“, begründeten die beiden Landesvorsitzenden der Südwest-Grünen, Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand, den Schritt.

Vor allem bei den Themen „Einwanderungs-, Flüchtlings-, und Menschenrechtspolitik“ habe sich der bundesweit bekannte Kommunalpolitiker immer weiter von der Parteilinie entfernt, so der Vorwurf. Es gehe nicht um Einzelfälle, sondern um eine ganze Reihe „von kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen“. Er habe „unserer Partei mit seinen populistischen und destruktiven Äußerungen schweren Schaden zugefügt“. Für jemanden, „der mit Rassismus kokettiert und Ressentiments schürt“, sei bei den Grünen kein Platz, heißt es in der Erklärung der beiden Parteichefs weiter.   

Mit seinen aus der praktischen Erfahrung untermauerten, realpolitischen Thesen zur Migrations- und Asylpolitik, in denen er auch die Mißstände wie fehlende Integrationsbereitschaft oder Kriminalität beim Namen nennt, hatte es das Oberhaupt der traditionsreichen Universitätsstadt mit Auftritten im Fernsehen oder Gastbeiträgen und Interviews in den Medien zu bundesweiter Prominenz gebracht. Führende Grüne reizte Palmer, der einst mit der Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner liiert war und mit ihr ein gemeinsames Kind hat, damit bis aufs Blut. Seit Jahren hatten ihn Parteifreunde öffentlich zum Austritt aufgefordert. Das Faß zum Überlaufen brachte dann im Frühjahr ein Facebook-Kommentar Palmers, in dem er einen unbestätigten Vorwurf gegen den Kommentator und Fußballprofi Dennis Aogo aufgegriffen und ironisch überspitzt hatte (JF 20/21). 

Der nun schriftlich vorliegende Ausschlußantrag verschafft Palmer die Möglichkeit, sich gegen konkete Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Sein Rechtsanwalt, der frühere Grünen-Politiker Rezzo Schlauch, hatte dem Landesverband zunächst vorgehalten, das Verfahren hinauszuzögern, um das Thema aus Bundestagswahlkampf und Koalitionsverhandlungen herauszuhalten.

Unterdessen hat Palmer Ende vergangener Woche in einer Interviewsendung des SWR gesagt, er könne sich eine weitere achtjährige Amtszeit an der Spitze der Universitätsstadt vorstellen. So würde er gerne das vor einem Jahr beschlossene Klimaschutzprogramm umsetzen, das konkrete Maßnahmen enthalte, mit denen Tübingen bis 2030 klimaneutral sein werde. Eine Entscheidung über seine berufliche und politische Zukunft wolle er in der Weihnachtszeit treffen. Die nächste OB-Wahl findet 2022 statt. Zunächst müßte sich der Amtsinhaber einer Urwahl innerhalb der eigenen Partei stellen. Die Kreistagsabgeordnete und frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen im Tübinger Gemeinderat, Ulrike Baumgärtner, hat bereits angekündigt, um die Unterstützung der Grünen für ihre OB-Kandidatur zu werben. Sie ist deutlich weniger prominent als der bundesweit bekannte, auch im eigenen Kreisverband jedoch umstrittene Amtsinhaber. 

Dem Ausschlußverfahren sehe er indes gelassen entgegen, meinte Palmer gegenüber dem SWR.