© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Grüße aus … Rio
Zufrieden und glücklich
Wolfgang Bendel

Wir saßen fast allein an der etwas zu kurz geratenen Uferpromenade des Städtchens, das sich hinter einigen Inseln und Mangrovenwäldern vor dem nahen Meer versteckt. Wir schauten auf den brackigen Fluß und konnten beobachten, wie die Bäume am anderen Ufer allmählich mit dem Dunkel der einbrechenden Nacht eins wurden.

Die wenigen Restaurants und Bars hatten entweder geschlossen oder waren kaum besucht. Während der Nebensaison und erst recht unter der Woche verirren sich kaum Fremde in den kleinen Ort. Er liegt abgeschieden von den großen Verkehrsströmen.

Im Osten grenzt er ans Meer, nach Süden machen eine Vielzahl kleiner Inseln und verschlungene Mündungsarme des Flusses das Weiterkommen nur mit kleinen, flachbödigen Motorkähnen möglich. Richtung Westen sind es Sümpfe, die den Ort von der Außenwelt abschotten. Gäbe es nicht die Straße nach Norden, die in die eine gute Fahrstunde entfernt gelegene größere Stadt führt, wäre der Ort völlig isoliert.

Alle drei planen, dauerhaft in Brasilien zu bleiben. Die alte Heimat hatte ihnen nichts mehr zu sagen.

Wir waren zu viert. Zwei Männer, eine junge Frau, alle drei Deutsche, und ich. Der ältere der beiden Herren, hager und mit schütterem Haar unterbrach die Stille: „Als ich ein kleines Kind war, hatten meine Eltern einen Zirkus, der vom Süden Brasiliens in den Nordosten unterwegs war und überall anhielt, um Vorstellungen zu geben. Eines Tages fing der Zirkus Feuer und brannte vollständig ab. Das war dann das Ende. Jetzt bin ich zurückgekommen, um nach den Spuren meiner Kindheit zu suchen.“ 

Wir schauten überrascht auf, blieben aber stumm. Nach einigem Schweigen raffte sich der andere Mann auf, jünger, mit vollem Haar und kantigem Schädel: „Meine Geschichte ist etwas anders. Ich wurde in Brasilien als Kind deutscher Eltern geboren, kam aber bereits mit vier Jahren nach Deutschland. Seitdem war ich nie mehr in Brasilien. Als im Land Geborener war es kein Problem, mir einen brasilianischen Paß zu besorgen. Jetzt bin ich auch das erste Mal seit meiner Kindheit wieder im Land und hoffe, Menschen aus meiner frühen Kindheit zu treffen.“ 

Neugierig schauten wir jetzt in Richtung der jungen Frau: „Ich habe das Glück, daß ich hier im Homeoffice arbeiten kann, als digitaler Nomade, wenn man so will. Aus Deutschland wollte ich nicht zuletzt deshalb weg, weil ich mich nicht impfen lassen will.“

Alle drei planen, dauerhaft in Brasilien zu bleiben. Die alte Heimat hatte ihnen nichts mehr zu sagen. Sie wollten nur noch weg. Einige Wochen später erhielt ich von dem jüngeren der beiden Herren folgende Nachricht: „Meine Suche war erfolgreich. In meiner Geburtsstadt traf ich viele Menschen, die sich an mich noch erinnern konnten. Darunter mein damaliges Kindermädchen.“ Er wirkte zufrieden und glücklich.