© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Ein Radl für alle Kinder
Graz: Unerwartet führen Kommunisten eine Dreier-Koalition an
Robert Willacker

Es war ein kleines politisches Erdbeben, das am Abend des 26. September 2021 durch Österreich ging. Auslöser war das Ergebnis der Gemeinderatswahl in Graz, Hauptstadt der Steiermark und zweitgrößte Stadt Österreichs. Mit 28,8 Prozent der Stimmen errang dort die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) den ersten Platz und verdrängte die christlich-konservative ÖVP von der Spitze. 

Noch am Wahlabend entspann sich eine breite mediale Diskussion über die Daseinsberechtigung einer – zumindest dem Namen nach – kommunistischen Partei in einem demokratischen Parteiensystem. Stein des Anstoßes waren dabei unter anderem Aussagen der KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr in einem kürzlich geführten Interview mit der kroatischen Zeitung Jutarnji list. Kahr hatte darin die Tito-Diktatur als das „tauglichste System dieser ganzen [blockfreien, Anm.] Staaten“ bezeichnet. Auch ließ sie in dem Gespräch eine persönliche Zuneigung zum jugoslawischen Diktator erkennen; das Blatt zitiert sie mit dem Satz: „Ich habe Tito geliebt.“ Sympathiebekundungen für autoritäre Regime sind in der KPÖ kein Einzelfall. Erst im August sorgte der steirische Landtagsabgeordnete Werner Murgg für Aufsehen, als er die Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime kritisierte. 

Die Diskussion um die Ausrichtung der KPÖ ist in Österreich nicht völlig neu, wurde jedoch nie in breiter Öffentlichkeit geführt. Einerseits gehörte die KPÖ zwar seit jeher zum Parteienspektrum Österreichs und spielte auch bei der Gründung der Zweiten Republik eine tragende Rolle, andererseits fristete sie bis in die 1990er Jahre hinein nahezu überall im Land ein Nischendasein, so auch in Graz. Aufgrund einer fehlenden Sperrklausel in dessen Gemeinderat verschwand sie dort jedoch nie ganz von der politischen Bühne und konnte immer zumindest ein Mandat halten.

 Der Aufstieg begann nach einer Phase der Neuorientierung infolge des Zusammenbruchs der sozialistischen Staaten in Europa. Fortan konzentrierte man sich weniger auf weltpolitische Zusammenhänge, sondern vor allem auf lokalpolitische Themen. Initiativen wie der „Mieternotruf“ und die Finanzierung von Gerichtsverfahren gegen Vermieter verschafften der KPÖ im Laufe der Jahre mediale Aufmerksamkeit und verstärkten Wählerzulauf. Aufgrund des bis heute praktizierten Proporzsystems stellte man in der Folge regelmäßig einen Stadtrat. Vorläufiger Höhepunkt dieser Erfolgsgeschichte ist die nunmehrige Wahl von Elke Kahr zur Grazer Bürgermeisterin und ersten KPÖ-Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt bei der konstituierenden Gemeinderatssitzung in dieser Woche.

Am vergangenen Wochenende stellten die Spitzen von KPÖ, Grünen und SPÖ nach einer siebenwöchigen Sondierungsphase ihre Regierungskoalition und das politische Programm für die kommenden fünf Jahre vor. Unter dem Titel „Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial. Klimafreundlich. Demokratisch“ will man künftig neue Akzente in der Sozial-, Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik setzen. 

Das Zustandekommen dieser Linkskoalition verdanken KPÖ und Grüne dabei der SPÖ. Diese hatte mit 9,5 Prozent zwar vier Mandate im Gemeinderat erringen können, verpaßte jedoch knapp einen Sitz im Stadtsenat – der nach Proporz besetzten Stadtregierung. Dennoch entschieden sich die Sozialdemokraten gegen die Oppositionsrolle und ermöglichten stattdessen ein Linksbündnis.

Die Reaktionen der ÖVP, FPÖ und Neos auf das vorgestellte Programm fielen geteilt aus. ÖVP-Stadtrat Kurt Hohensinner sieht in dem Programm ein Zeugnis der „Ideenlosigkeit, Mutlosigkeit und Gesellschaftsspaltung“, das durch zahlreiche gebrochene Wahlkampfversprechen besteche. Neos-Chef Philipp Pointner ortet „Licht und Schatten“ im Regierungsprogramm und sieht in einigen Punkten Chancen zur parteiübergreifenden Zusammenarbeit. 

Alexis Pascuttini, designierer FPÖ-Fraktionsvorsitzender, befürchtet eine „Politik völlig ohne Visionen“ und sieht die Aufgabe seiner Partei künftig darin, verstärkt gegen „die Belastungen und Verbote für Leistungsträger“ aufzutreten. „In der Migrationspolitik werden wir auch das einzige patriotische Korrektiv sein“, betonte Pascuttini. 

Ein erstes Projekt von Dunkelrot-Grün-Rot: jedes Kind soll ein Fahrrad bekommen.