© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Aktuelles Jahresgutachten des Sachverständigenrates
Annalena im Wunderland
Reiner Osbild

Die versprochene „Klimaregierung“ (Annalena Baerbock) will ein Investitionsprogramm in Billionenhöhe anschieben. Das droht die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu sprengen. Da kommt den Ampel-Verhandlern das Jahresgutachten des Sachverständigenrates, medial die „Wirtschaftsweisen“ genannt, gerade recht. Zwei der nur noch vier Ökonomen versuchen sich in der Quadratur des Kreises und schlagen unter anderem vor: Eingehen öffentlicher Beteiligungen, Eigenkapitalspritzen für die staatseigene Deutsche Bahn und schließlich die Einrichtung von kreditfinanzierten Extrahaushalten, etwa für den Klimaschutz.

Dabei sollen die Verbindlichkeiten dieser Schattenhaushalte nicht in die Schulden der öffentlichen Hand eingerechnet werden. Sollte die EU diesem Taschenspielertrick nachgeben, würden auch in Südeuropa die Sektkorken knallen: Einer ungehemmten Verschuldung stünde nichts mehr im Weg – mit allen Konsequenzen für die Stabilität des Finanzsystems und der Währung. Die Ökonomen argumentieren, daß eine öffentliche Verschuldung für „Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ private Vorhaben nicht verdrängen, sondern einen Anreiz für diese schaffen würden. Vorstellbar ist dies angesichts der üppigen Geldversorgung durch die EZB: Ein Staat, der keine Zinsen entrichtet und auch nichts tilgt, da fällige Kredite immer wieder verlängert werden, wird keine direkten finanziellen Lasten an die nächste Generation übertragen und auch nicht den Kapitalmarkt stressen. Das Ei des Kolumbus scheint gefunden.

Allerdings werden Investitionen und ihre Finanzierung der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Der Investitionsbegriff droht weiter verwässert zu werden, um alles und jedes durchführen zu können. Da auch die EZB und die EU (Stichwort: Green Deal) die Investitionen in Richtung Klima steuern wollen und die entsprechenden bilanziellen Berichtspflichten bald exorbitant zunehmen werden, stehen wir vor einer umfassenden Investitionslenkung. Kostenlos sind die gigantischen Programme dennoch nicht: Arbeiter und Ingenieure stehen dann nicht mehr für andere Unternehmen zur Verfügung. Das mündet in weniger Produktion, ein geringeres Güterangebot und bringt einen Innovationsstau. Generationengerecht ist das nicht.

Der dänische Statistiker Bjørn Lomborg beziffert die Rendite der Klimaschutzinvestitionen auf minus 90 Prozent (JF 43/21). Damit würden Kindern und Enkeln Investitionsruinen hinterlassen, denen kein meßbarer Klimaeffekt entgegensteht, weil Deutschland dafür viel zu klein ist. Die Lähmung aller anderer Investitionen wird den Produktivitätsfortschritt hemmen, so daß die Einkommen, aus denen auch die demographische Wende finanziert werden sollen, kaum noch steigen dürften. Was auf den ersten Blick aussieht wie „Alice im Wunderland“ entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein Tsunami für unsere junge Generation, dessen Ausmaß zur Zeit kaum zu erahnen ist. Bleibt zu hoffen, daß die Volkswirte und Statistiker den Schuldenpfusch, wenn er denn kommt, nicht mitmachen: Sie haben kürzlich insofern Standfestigkeit bewiesen, indem sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Sektor „Staat“ einbezogen haben. Also freie Bahn für Klarheit und Wahrheit.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.