© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Alles richtig gemacht und doch bestraft
Schloß Diedersdorf: Die Eigentümer des berühmten Hotels klagen wegen Corona-Ungleichbehandlung vor Bundesgerichtshof in Karlsruhe
Martina Meckelein

Die Welt, das Land und jeder Mensch, wir alle, werden unser Leben rückblickend in eine Zeit vor und eine Zeit nach Corona unterteilen. Eine von uns ist Salina Worm. Wenn sie lebhaft ihre Erinnerungen schildert, was ihr Vater und was ihre Familie über Jahrzehnte alles geplant und aufgebaut haben, wie ihre Gäste in ihrem Schloß feierten, wie die Kinder beim Spielen jauchzten, und wie es war, als plötzlich die absolute Stille eintrat, welche Sorgen sie dann erlebte und immer noch durchleben muß – dann beschreibt sie unser aller Leben. Worm ist also kein Einzelfall. Was macht sie denn dann so besonders? Sie kämpft vor Gericht um Gerechtigkeit.

„Wissen Sie“, sagt die junge Frau, sie ist 21 Jahre alt und Geschäftsführerin des 80-Mann-Unternehmens „Schloß Diedersdorf“, „uns geht es ums Prinzip. Wir haben alles richtig gemacht und werden jetzt bestraft. Das kann es doch nicht sein.“

Wir mußten alle unsere Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken

Es geht um das Infektionsschutzgesetz, Paragraph 56. Das sieht bei von Amts wegen verfügten präventiven Unternehmensschließungen eine teilweise zu erfolgende Entschädigung für entgangenen Gewinn während der ersten sechs Wochen vor. Allerdings legt das Land Brandenburg dieses Gesetz folgendermaßen aus: Es muß mindestens ein Gast oder ein Angestellter an Corona erkrankt sein, bevor ein Cent aus dem Staatssäckel auf den Tresen klimpert.

Wer mit dem Bus die Strecke von Berlin nach Großbeeren fährt, schaut links und rechts in Wälder. Manchmal kommt ein Supermarkt auf der grünen Wiese ins Blickfeld. Irgendwo hier, südlich der Hauptstadt, in Brandenburg, Landkreis Teltow-Fläming, liegt das Schloß Diedersdorf, ein bekanntes Hotel mit einem in der Region berühmten Biergarten. An der Haltestelle „Friedhof“ weist ein großes Schild den Weg. Große Flächen sind als Besucherparkplätze ausgewiesen. Jetzt steht kein einziges Auto hier. Ein paar Einfamilienhäuser stehen links und rechts der Straße. Über Kopfsteinpflaster geht es zur Rezeption. 

Auf 150.000 Quadratmetern, also auf 15 Hek-tar, hat Thomas Worm in 30 Jahren das verfallene Schloß Diedersdorf mit seinen 44 Zimmern wieder aufgebaut. Zwei Landgasthöfe, ein 2.000 Quadratmeter großes Festzelt, Pferdestall und Kuhstall, Kinderkarussells, Ponyreiten, ein riesiger Biergarten sind hier entstanden. Unter der Woche sind hier Tagungen, am Wochenende Trauungen, es gibt hier eine offizielle Außenstelle des Standesamtes Großbeeren. TV-Teams geben sich die Klinke in die Hand. Aufgezeichnet werden hier Sendungen wie „Bauer sucht Frau“ oder „Tatort“; Helmut Kohl und Angela Merkel waren zu Besuch. Am Wochenende besuchten Hunderte Gäste den riesigen Biergarten mit 2.000 Sitzplätzen. „Das war hier ein Summen und Brummen“, sagt Salina Worm. „Wir hatten 365 Tage im Jahr geöffnet.“ Doch dann kam Corona.

„Klar, man verfolgt die Nachrichten, bekam E-Mails vom Hotel- und Gaststättenverband, diskutierte, doch eigentlich ging dann alles sehr schnell“, betont Worm. „Am 16. März 2020 war unsere Mitarbeiterversammlung. Die Stimmung war gedrückt“, erinnert sich Salina Worm. „Jeder ahnte, was kommen würde – wegen Corona. Wir mußten alle unsere Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Es war, als würde uns der Boden unter den Füßen weggerissen. Aber wir wollten doch niemanden entlassen. Doch Kurzarbeitergeld bedeutet nur noch 60 Prozent des Lohns, wie soll denn eine Servicekraft in der Gastronomie davon leben? Die rechnen doch mit dem Trinkgeld.“

Am 18. März mußte das Unternehmen wegen des sogenannten allgemeinen behördlichen Tätigkeitsverbotes schließen. In den ersten Wochen waren die Buchhaltung und Mitarbeiter der Büros noch gut beschäftigt. „Die Telefone hörten nicht auf zu klingeln. Wir mußten doch alle Veranstaltungen absagen, Anzahlungen wieder zurückzahlen. Die sind teilweise zwei Jahre im voraus gebucht.“ Doch auf dem Schloßhof, in den Gasträumen, den Küchen, den Gästezimmern war es totenstill. „Das war richtig unheimlich. Kein Kühlaggregat lief, kein Licht brannte, Stühle, Schirme, alles war weggeräumt. Das waren Vorgaben des Ordnungsamtes, damit zufällig vorbeikommende Wanderer sich nicht hinsetzen konnten.“

 Zwar kamen Informationen durch den Hotel- und Gaststättenverband, doch rückblickend urteilt Salina Worm: „Man hat sich etwas im Stich gelassen gefühlt.“ Familie Worm beantragte Entschädigungen beim Land – und ging leer aus. „So widersinnig sich das anhört, weil bei uns eben weder ein Gast noch ein Angestellter jemals an Covid-19 erkrankt ist“, bestätigt Worm. 

„Vermutlich auch, weil wir in Corona-Maßnahmen investiert haben, Tische und Plätze reduziert, in jede Ecke Infektionsmittel gestellt, Plexiglaswände installiert haben.“ Thomas Worm mandatierte den Rechtsanwalt Thorsten Purps. „Hier geht es doch ums Prinzip“, sagt Salina Worm. „Wir, die wir alles zur Verhinderung dieser Infektionskrankheit getan und investiert haben, sollen leer ausgehen und die, die nichts oder wenig getan haben, werden dafür noch belohnt.“

Der erste Verhandlungstag war der 26. Januar 2021 vor dem Landgericht Potsdam. Purps hält die Praxis des Landes Brandenburg für „grob benachteiligend“. Abgesehen davon war Familie Worm kein Einzelfall. „Viele Gastronomen in Brandenburg, haben ebenso wie mein Mandant den Antrag auf Entschädigung gestellt, sind aber allein wegen des Fehlens einer tatsächlichen Corona-Erkrankung leer ausgegangen.“

Der Gastronom klagt auf 27.000 Euro Schadensersatz. Doch Worm verliert in der ersten Instanz. „Als wir bei Gericht saßen, sagte irgendwann der Richter zu mir, es ginge hier nicht um Gerechtigkeit“, erinnert sich Sarina Worm und ihre Stimme bebt noch heute vor Empörung, „es ginge einzig um das Recht. Denn dann ist das Recht ungerecht!“

Noch am selben Tag meldet sich der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, zu Wort. In einem Interview mit der Funke-Mediengruppe sagte er, daß wenn Unternehmen und Selbständige aus Gründen des Infektionsschutzes ihre Betriebe schließen oder ihre Tätigkeit einstellen müßten, ihnen vom Staat „ein Sonderopfer zum Wohle der Allgemeinheit auferlegt“ würde. 

Daher müßte ihnen „ein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Entschädigung eingeräumt werden“. Bisher laufe die Förderung nach Ermessen der Exekutive im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel, kritisierte Papier. In den maßgeblichen Richtlinien stehe ausdrücklich, daß kein Rechtsanspruch auf Leistung bestehe. „Das halte ich aus rechtsstaatlichen Gründen für fragwürdig.“ Papier hatte schon Ende November 2020 die Corona-Gesetze als Persilschein für die Regierung gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) kritisiert. Unter anderem hob er speziell auf die Entschädigungszahlungen ab: „Ich vermisse eine gesetzliche Regelung des finanziellen Ausgleichs etwa für Unternehmen und Selbständige, soweit sie mit einem Öffnungs- oder Betätigungsverbot belastet werden, egal ob ihre Tätigkeit ein erhöhtes Infektionsrisiko begründet“, sagte Papier der NOZ.

Doch am 1. Juni weist auch das Brandenburgische Oberlandesgericht in Brandenburg an der Havel die Klage ab. Allerdings läßt das OLG eine Revision vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu, eben weil es sich bei der Klage um einen Präzedenzfall handelt. In einem Bericht des Tagesspiegels zu diesem Urteil ist zu lesen, daß der Fall von der brandenburgischen Hotel- und Gaststättenbranche interessiert beobachtet würde. 

Die Auftragsbücher sind nur zur Hälfte gefüllt

Am 8. Oktober veröffentlichte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) eine Umfrage, die er vom 1. bis 6. Oktober unter 4.600 Mitgliedern im ganzen Bundesgebiet machte. Demnach setzen die Hotels und Restaurants 5,3 Prozent weniger um als im Vor-Coronajahr 2019. Es werde noch eine Weile dauern, bis die verheerenden Folgen der Krise mit monatelangem Lockdown überwunden seien, läßt sich Dehoga-Chef Guido Zöllick zitieren. Allerdings sehen die Zahlen, die das Statistische Bundesamt für das erste Halbjahr für das Gastgewerbe ausweist, mehr als bescheiden aus: ein reales Minus von 61,4 Prozent!

Salina Worm sieht zwei Gründe, durch die die Gastwirte weitaus geringere Chancen haben, aus der wirtschaftlich miserablen Situation herauszukommen: Pachtverträge und fehlendes Personal. „Wir hatten Glück gehabt, daß das Schloß und das Gelände unser Eigentum ist. Denn kaum jemand hat das Geld, die Pacht weiterzuzahlen, ohne Einkommen zu generieren. Und kein Servicemitarbeiter kann monatelang ohne Lohn überleben.“ Deshalb gibt es in der Gastronomie eine Abwanderungsbewegung des Personals – wer wollte es ihm auch verübeln – in andere Branchen. 

„Dort merken sie, daß sie keine Wochenenddienste mehr schieben müssen und im Verkauf sogar mehr Geld verdienen“, sagt Worm. Auch die Dehoga sieht diese Probleme: Der Fachkräftemangel stelle für fast 80 Prozent (79,6 Prozent) der Betriebe ein Problem dar. Auf das fehlende Personal reagierten die Betriebe mit Anpassungen der Speisekarte (56,1 Prozent), mit einer höheren Bezahlung (54,1 Prozent), mit zusätzlichen Ruhetagen (51,9 Prozent), mit der Einstellung mehr un- und angelernter Mitarbeiter (43,7 Prozent) sowie mit Änderungen bei den Arbeitszeitmodellen (37,8 Prozent) und bei der Organisationsstruktur (34,1 Prozent).

„Man muß sich vorstellen, daß Leihfirmen jetzt 30 Euro die Stunde für einen Servicemitarbeiter verlangen, das sind Summen, da rechnet sich der Betrieb für uns nicht.“ Am 5. Juni dieses Jahres wurde auf Schloß Diedersdorf die erste Hochzeit nach dem Corona-Lockdown gefeiert. Von den durchschnittlich 500 Veranstaltungen jährlich wird dieses Jahr in den Auftragsbüchern nur die Hälfte stehen.

Foto: Salina Worm vor ihrem Schloßhotel in Brandenburg im Süden von Berlin: „Kein Servicemitarbeiter kann monatelang ohne Lohn überleben“; Eingangstor Schloß Diedersdorf: Die Familie Worm hat das verfallene Schloß Diedersdorf mit seinen 44 Zimmern in 30 Jahren wieder aufgebaut