© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Opfer sind austauschbar
#MeToo: Viele Deutschrapper beugen sich nicht der Politischen Korrektheit
Björn Harms

Auf der Linken weiß man seit Jahrzehnten um die Notwendigkeit der kulturellen Deutungshoheit. Klar also, daß vor allem die größte und jugendaffinste Subkultur unter Kontrolle gebracht werden soll. Das ist in Deutschland, gemessen an Verkaufserlösen und der Masse an Hörern, eindeutig Hip-Hop und mit ihm der deutsche Rap. Zwar meint man häufig, hier eine genuin linke Bewegung vor sich zu haben. Schließlich hat der Großteil der deutschen Rapper migrantische Wurzeln, und auch im Hip-Hop steckt der Grundgedanke der Vielfalt und Toleranz. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Denn die „Vom Bordstein bis zur Skyline“-Erzählung aus klassischen Gangster-Rap-Texten erinnert eher an eine liberale Empfindung als an linke Wohlfühlphantasien: Du mußt es raus aus dem Gosse schaffen, koste es, was es wolle. Streng dich an, produziere Musik und laß die kriminelle Scheiße sein. Dann kannst du mit deinem Erreichten prahlen und dem angewiderten Establishment zeigen, daß die Jungs von unten plötzlich auch Kohle haben. Noch entscheidender aber für aktuelle Feuilletondebatten ist das Festhalten der meisten Rapper an traditionellen Gesellschaftsmustern. Von LGBTQ und Co. wollen die wenigsten etwas wissen – ein Dorn im Auge vieler junger Feministinnen, die zwar mit Hip-Hop-Musik großgeworden sind, aber die Diskrepanz zu ihrem Wunschziel der „Dekonstruktion patriarchaler Strukturen“ durchaus erkennen. 

Die Einstiegshürden für eine linke Erzählung sind also nicht zwangsläufig die besten. Doch die Einschläge kommen näher. Derzeit sorgen die „woken“ Linken öffentlichkeitswirksam für Aufregung in der Szene. Eine erste größere Diskussion entfachte Ende 2020 die Veröffentlichung des Songs „Alman“ durch den Gangster-Rapper Cashmo, bürgerlich Achim Welsch. In diesem erzählte er, wie es ist, als Deutscher in einem Migrantenviertel aufzuwachsen und aus einer Position der Schwäche zu agieren: „Erzähl’ euch, wie es ist, wenn du hier in meiner Haut steckst / Wenn du als Alman im Kanak-Viertel aufwächst / Wenn du am Block die Kartoffel bist / Und wenn es heißt, komm mal raus, mit dem Feuer in der Faust, und sie boxen dich.“ 

Solche Aussagen sind natürlich ein Affront gegen jede „woke“ Logik. Schließlich haben wir von unseren postmodernen Aufklärern gelernt, daß Diskriminierung gegen Deutsche kein wirkliches Problem darstellt. Die taz witzelte über eine „Werteunion im Rap“. Die Journalistin Juliane Lobo, bekannt unter ihrem Pseudonym Jule Wasabi, erschauderte in ihrem Rap-Podcast angesichts des Videos zum Song, weil sie in den gezeigten Deutschlandfahnen eine nationalistische Ästhetik erkannte. Zudem drängte sie den Rapper aufgrund seiner Aussagen indirekt in die rechte Ecke. Und während in Cashmos Video Schauspieler mit Klebeband über dem Mund symbolisierten, daß man hierzulande gewisse Themen nicht mehr ansprechen könne, erklärte Wasabi in ihrem Podcast, daß Cashmo das Thema so direkt nicht ansprechen könne. Sogar das größte Branchenportal „hiphop.de“ sah in Song und Video „Wasser auf die Mühlen des rechten Rands“. Nicht weiter verwunderlich, sind doch auch die Redakteure von Rap-Magazinen meist keine Kids von der Straße, sondern studierte Mittzwanziger mit Hang zur Politischen Korrektheit.

In fast jedem anderen Kulturbetrieb hätte Cashmo auf die Knie fallen und um Entschuldigung bitten müssen – nicht so im Deutschrap. Das hat zwei Gründe: Weil die Mehrheit der Rapper nun einmal von der Straße kommt, gilt die Ausblendung der zum Teil dreckigen Wahrheit als verpönt. Die Realität der unteren Schichten zu beschreiben, ist ja gerade der Hauptantrieb für ihre Musik. Damit stellt der Gangster-Rapper einen ultimativen Gegenpart zum gutsituierten, bürgerlichen Linksliberalen dar, der es sich leisten kann, Wahrheiten zu verschweigen. Zudem ist gerade der hohe Migrantenanteil im Rap ausschlaggebend dafür, daß dort wirkliche Meinungsfreiheit gelebt wird. Die gebückte Haltung der meisten Deutschen ist vielen Gangster-Rappern fremd. Sie alle wissen, daß die Diskriminierung von Deutschen in Vierteln mit einem hohen Migrantenanteil kein ausgedachtes Phänomen ist.

Und so hielt die sonst so verstrittene Szene plötzlich zusammen. Vor allem migrantische Rapper meldeten sich positiv zu Wort und verurteilten die Medien: „Ich als Kanacke, ich habe das gesehen“, erklärte der kurdischstämmige Rap-Veteran Azad, der in der Frankfurter Nordweststadt aufgewachsen ist. „Das, wovon Cashmo redet, habe ich mit eigenen Augen gesehen, und nicht nur einmal“, so der 47jährige. „Deswegen ist es absolut legitim, daß er dieses Gefühl äußert. Und es ist eine Frechheit, daß sie ihn dafür versuchen in eine rechte Ecke zu drängen.“ Auch zahlreiche Fans der Rapper meldeten sich auf Social-Media-Kanälen bei den Kritikern und attackierten sie hart.

Cashmo ruhte sich nicht etwa auf diesem Rückhalt aus, sondern ging – anders als die meisten Opfer „woker“ Verbalangriffe – in die radikale Offensive. Nicht nur „die Vollspackos von Hiphop.de“ bekamen ihre Breitseite ab, auch bei Jule Wasabi, die durchschimmern ließ, das der Shitstorm der Fans sie doch ganz schön mitgenommen hatte, ließ er nicht locker. „Ich arbeite sogar daran, daß diese Leute einen psychischen Dachschaden bekommen“, erklärte Cashmo. Die „Cancel Culture“-Mechanismen hat er offensichtlich schon verinnerlicht: „Meine ganze Musikkarriere wäre zerstört gewesen, wenn sie mit ihren Lügen durchgekommen wären“, beklagte er sich. „Ich wäre gebrandmarkt für immer. Die haben mir noch nicht mal die Chance zu einem Dialog gegeben.“

Die Rassismuskeule zog also nicht. Die „woke“ Linke mußte sich ein neues Angriffsfeld suchen. Das bot sich wenige Zeit später. Das Erotikmodel Nika Irani bezichtigte im Juni 2021 den Rapper Samra (Hussein Akkouche) der Vergewaltigung. Der Rapper bestritt die Vorwürfe und sprach von einvernehmlichem Sex. Sein Label Universal Music trennte sich von ihm, noch bevor es eine Anklage gab. In den vergangenen Monaten mehrten sich jedoch die Zweifel an Iranis Version. So tauchte unter anderem ein versteckt gefilmtes Video in den sozialen Netzwerken auf, in dem sie unverblümt erzählte, den Rapper erpressen zu wollen. Die bekannte Anwaltskanzlei Höcker, von Samra beauftragt, hat mittlerweile vor dem Amtsgericht Köln eine Unterlassungserklärung durchgesetzt, die es Irani untersagt, die Vorwürfe der Vergewaltigung in der Öffentlichkeit zu wiederholen.

Doch der Anlaß reichte aus. Eine Flut von Vorwürfen traf damals nicht nur den Rapper, sondern griff anschließend auf die gesamte deutsche Rapwelt über. Nur ein paar Tage nachdem Irani an die Öffentlichkeit ging, bildete sich im Hintergrund eine neue Kampagne heraus: #deutschrapmetoo (DRMT). Das feministische Kollektiv sammelt Geschichten von weiblichen Betroffenen sexualisierter Gewalt und veröffentlicht diese über seine Social-Media-Kanäle. Bei den bislang gezeigten Textpassagen und Screenshots wurden jedoch weder die Namen der Frauen noch die der mutmaßlichen Täter veröffentlicht. Über die Echtheit der Bilder kann also nur spekuliert werden. Für ihre Arbeit erhielt die Initiative trotzdem im Oktober den staatlich geförderten „Preis für Popkultur 2021“.

Zwar sollte keinesfalls in Abrede gestellt werden, daß es sexualisierte Gewalt in der Rapszene gibt. Übergriffige Künstler haben eine lange Historie in der Popkultur – gerade im Hip-Hop. Sexismus unter Rappern, ihren Texten und ihren Fans ist weit verbreitet. Dennoch gilt die Unschuldsvermutung. Vor allem müssen die Motive aller Protagonisten ehrlich hinterfragt werden. Wer steckt hinter #deutschrapmetoo? Und wie aufrichtig ist ihr Kampf für unterdrückte Frauen, wenn keine Beweise auf den Tisch gelegt werden? „Es wird die Zeit kommen, und dann werden wir auch Namen preisgeben“, verspricht die Gruppe, die selbst anonym auftritt. Aus wie vielen Personen die Kampagne überhaupt besteht, ist unklar. „Wir sind eine kleine Gruppe betroffener Frauen“, hieß es zunächst in einem Interview auf „hiphop.de“. Die Initiative bestehe aus fünf Frauen, erklärte die unter einem Pseudonym auftretende Mitinitiatorin „Jane“ später im Katapult-Magazin. „Wir sind zu zweit“, teilt man schließlich Ende September in der Welt mit.

Ebenfalls seltsam: In keinem der Kampagnen-Interviews wird die ideologische Komponente der Beteiligten hinterfragt. Stattdessen liefert man Gefälligkeitsinterviews. Mit keiner Silbe wird erwähnt, daß etwa die Mitinitiatorin „Jane“ aus der linksextremen Szene stammt. Sie schreibt für das marxistische Lower Class Magazine, versteht sich als Kommunistin und kämpft gegen die „Faschisierung von Deutschland“. „Wir wollen keinen Skandal. Wir wollen euch umerziehen“, lautet dementsprechend auch das Motto der Initiative. So stehen auch die großen Plattenlabels unter strenger Beobachtung der Moralwächter. DRMT will ein „Siegel“ entwerfen. „Damit erkennbar wird, daß Labels und Unternehmen eine ‘Awareness’-Stelle haben, an die sich von Sexismus Betroffene wenden können.“ Wer sich also nicht dem Willen der Aktivistinnen unterwirft, dem droht künftig der Vorwurf, Sexismus nicht ausreichend ernst zu nehmen oder zu bekämpfen. Er steht moralisch auf der falschen Seite.

Doch auch in diesem Fall kommt Gegenwind aus der Hip-Hop-Szene. Viele Rapper machten sich über „irgendwelche Social Justice Warriors“ lustig. Und auch Cashmo meldete sich wieder zu Wort: DRMT wolle die Industrie mit Druck beeinflussen, „mehr zu canceln“. Das dürfe man nicht zulassen. Ironischerweise war es dann ausgerechnet Nika Irani, also diejenige, die #deutschrapmetoo erst ins Rollen gebracht hatte, die sich zuerst von der Kampagne distanzierte. Sie fühle sich an einen „white savior komplex“ erinnert, schrieb sie kürzlich auf Instagram und meinte damit gemäß „woker“ Sprache weiße Personen, die sich berufen fühlen, vermeintlich marginalisierten Opfern zu helfen, um sich selbst moralisch auf die Schulter zu klopfen. In der Sekunde, in der sie gemerkt hätten, „das bringt Clout, haben sie es gemacht“. Als „Clout Chaser“ bezeichnet man Personen, die bestimmte Themen vereinnahmen, nur um populär zu werden.

Und tatsächlich dürfte damit der Kern der Kampagne getroffen sein: Opfer sind immer austauschbar. Schlußendlich geht es DRMT um eine gesellschaftliche Dekonstruktion und Umerziehung, wie die Feministinnen in einem Interview mit der Plattform „hiphop.de“ selbst zugeben: „Letztendlich steht für uns die Verantwortung und das dringende Bedürfnis, bestehende patriarchale Strukturen umzuwerfen im Vordergrund.“ Und deshalb läßt sich auch sicher sagen: Die „woke“ Linke wird ihre Angriffe im Bereich Hip-Hop fortsetzen. Doch anders als häufig im bürgerlichen Milieu gibt es zumindest Ansätze eines Widerstands. Kann sich der deutsche Rap weiter der Politischen Korrektheit entziehen?

Foto: Bildschirmfotos aus dem offiziellen „Alman“ -Video von Cashmo: „Erzähl’ euch, wie es ist, wenn du hier in meiner Haut steckst“; Hashtag #MeToo („ich auch“): Frauen machen auf sexuelle Belästigungen aufmerksam