© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Schnüffelei im Museum
Die Londoner National Gallery forscht nach Sklaverei-Verbindungen früher Stifter, Spender und Maler
Julian Schneider

Was haben Leonardos Madonna in der Felsengrotte, Queen Victoria, der Maler Gainsborough und der Dichter Wordsworth gemeinsam? Sie sind „verbunden mit der Sklaverei“. So jedenfalls steht es in einer Liste, die die britische National Gallery in London vor kurzem als ersten Schritt eines Provenienzforschungsprojekts veröffentlicht hat. Dieses soll „die Rolle zu verstehen helfen, die die Sklaverei in der Geschichte der National Gallery gespielt hat“, schreibt das Museum.

Das Projekt hat aber auch Kritik auf sich gezogen, weil es eine viel zu breite, weit hergeholte Definition von „Sklaverei-Verbindungen“ benutzt und sogar Leute an den Pranger stellt, die überhaupt keine direkte Verbindung mit der Sklaverei besaßen. In britischen Medien ist schon die Rede von einer „Hall of Shame“. Für das Projekt wurden die Namen von Künstlern, Kunstsammlern, Gemälde-Stiftern und Spendern sowie auch Porträtierten mit einer Archivdatenbank ehemaliger Sklavenbesitzer abgeglichen.

Teils an den Haaren herbeigezogene Verbindungen

Was die 1824 gegründete Galerie mit ihrem Sammlungsbestand von rund 2.500 Werken daraus macht, wirkt aber teils an den Haaren herbeigezogen. Leonardo da Vincis Gemälde „Felsengrottenmadonna“ beispielsweise erwarb das Museum 1880 vom damaligen Politiker der Liberal Party, Henry Charles Howard, dem 18. Earl of Suffolk. Und dieser steht in der Liste, weil sein Vorfahr, der 7. Earl of Suffolk, der anderthalb Jahrhunderte früher lebte, eine versklavte Person namens Scipio Africanus besaß.

Queen Victoria, eine wichtige Spenderin für das Museum, die nun in dessen Liste in der Kategorie „Verbunden mit der Sklaverei“ steht, regierte überhaupt erst (1837 bis 1901), nachdem das britische Parlament sowohl den Sklavenhandel (1807) und die Sklaverei (1833) abgeschafft hatte.

Dem Dichter William Wordsworth, ebenfalls ein Spender für das Museum, der immerhin ein unterstützendes Gedicht zur Abschaffung der Sklaverei verfaßte, wird vorgeworfen, daß er und seine Schwester Ende des 18. Jahrhunderts in einem kleinen Häuschen in Dorset Mieter waren, das einem Sklavenbesitzer gehörte. Der berühmte englische Porträt- und Landschaftsmaler Thomas Gainsborough steht in der Liste „Verbunden mit der Sklaverei“, weil drei der von ihm im 18. Jahrhundert Porträtierten Sklaven besaßen.

Dem Kunstsammler John Julius Angerstein, dessen 38 Gemälde, die man 1824 ankaufte, den Grundstein der Sammlung der National Gallery bildeten, wird seine Tätigkeit als Versicherungsmakler vorgeworfen, der bei einem Vorgänger von Lloyds of London Schiffe versicherte, darunter auch solche, die in den Sklavenhandel involviert waren. Der Naturwissenschaftler Michael Faraday, der ein Gemälde von John Constable schenkte, landet in der Liste, weil seine Forschung auch von Personen unterstützt wurde, die ihr Vermögen teils auch mit Sklaven gemacht hatten.

Andere wie der Pastor und Kunsthändler William Holwell Carr, ein früher Spender für die National Gallery, stehen in der Liste, weil die Frau des Bruders seiner Ehefrau aus einer Sklavenhalterfamilie stammte. Auch Premierminister Robert Peel, dessen umfangreiche Kunstsammlung die Nationalgalerie aufkaufte, wirft man eine weit hergeholte Verbindung vor. „Weder er noch irgendeines seiner Familienmitglieder waren Sklavenbesitzer, und Peel war niemals aktiv in der Familienfirma. Jedoch stammt das Vermögen der Familie aus der Baumwollspinnerei, und das Rohmaterial wurde von versklavten Menschen angebaut.“

Vereinzelt gibt es auch kritische Stimmen

Während die meisten britischen Medien eher wohlwollend über die Sklaverei-Schnüffelei im Auftrag der National Gallery berichteten, die übrigens schon vor der Eskalation der „Black Lives Matter“-Bewegung 2020 begann, gab es vereinzelt auch kritische Stimmen. Der Historiker Zareer Masani, der über das Britische Empire geforscht hat, nannte das Projekt „nutzlos“. „Wir alle wissen, daß die Sklaverei ein globales Phänomen war und daß, bevor Britannien eine Kampagne zu ihrer Abschaffung anführte, einflußreiche Leute überall in der Welt Verbindungen, wie schwach auch immer, mit dieser Praxis hatten“, sagte Masani dem Daily Telegraph. Er bemängelte, daß Gainsborough in der „Halle der Schande“ auftauche, weil einige seiner Modelle Plantagen in den Westindischen Inseln besaßen. „Wenn man das historische Sklaverei-Netz so weit auswirft, dann kann fast niemand frei von irgendwelchen Verbindungen sein“, monierte Masani. Tatsächlich selbst ein Sklavenbesitzer war der spanische Künstler Diego Velázquez, der einen halbafrikanischen Diener und Assistenten namens Juan de Pareja besaß, den er auch malte. 1654 schenkte er ihm die Freiheit. Die National Gallery besitzt mehrere herausragende Werke von Velázquez.

Ein Sprecher des Museums sagte nun gönnerhaft, daß nicht geplant sei, irgendwelche Gemälde aus der Galerie zu entfernen, weil sie Sklaverei-Verbindungen aufwiesen. Im Guardian ließ sich der Afrika-Historiker Hakim Adi mit den Worten zitieren, alle britischen Institutionen seien in das Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert gewesen. „Das anzuerkennen ist eine feine Sache, aber es ist keine Reparation für das Verbrechen.“ Noch ist die Forderung nach Reparationen nur ganz am Rand des politischen Spektrums zu hören.

Der Anti-Kolonialismus- und Anti-Sklaverei-Diskurs hat sich 2020 mit „Black Lives Matter“ radikalisiert. Dutzende Denkmale und Statuen, angefangen von der des Händlers Edward Colston in Bristol, wurden gestürzt oder abgebaut. Absehbar wird der Druck größer, daß Museen und Universitätssammlungen Objekte aus Kolonien restituieren, wie es Cambridge mit seinen Benin-Bronzen dieses Jahr tat. Dieser Druck könnte vor allem für das British Museum sehr unangenehm werden.

 www.nationalgallery.org.uk

Foto: Leonardo da Vincis „Felsgrottenmadonna“, 2. Version, im Sammlungsbesitz der Londoner Nationalgalerie: Entstanden ist das Gemälde zwischen 1493 und 1508