© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Eine schrecklich morbide Familie
Entscheidung in Sausalito: Der Animationsfilm „Addams Family 2“ verweigert sich politischen Korrektheiten
Dietmar Mehrens

Die Addams sind eine schreckliche Familie. Und das darf man in diesem Fall durchaus wörtlich nehmen. Es handelt sich bei ihnen, also bei Gomez und Morticia Addams, ihren Kindern Wednesday und Pugsley, sowie Onkel Fester, um Gruselgeschöpfe, die das Ergebnis einer Kreuzung aus Hexe und Vampir sein könnten. Genaueres ist über ihre Herkunft nicht bekannt. Sicher ist nur: Der Tod schreckt sie nicht. Und sie halten sich nicht an die Regeln eines gesitteten Zusammenlebens.

Nach drei Realverfilmungen (1991, 1993, 1998) mit den in den dreißiger Jahren von dem Comiczeichner Charles Addams ersonnenen Figuren, bei denen John Hustons Tochter Anjelica als Morticia Addams die prominenteste Besetzung war, kommt nun mit „Die Addams Family 2“ der zweite durch Computer-Tricktechnik animierte Film in die Kinos.

Man zögert etwas, die MGM-Produktion einen Film für Kinder zu nennen, denn über weite Strecken pfeift das Werk auf den üblichen Betüdelungsmodus, durch den Kinder – so überdeutlich, daß es manchen mächtig auf die Nerven geht – von wohlmeinenden Autoren zu „wertschätzenden“ Subjekten einer künftigen Gesellschaft als Teil einer hoffentlich besseren Welt erzogen werden sollen. 

Warnung vor hybriden Gen-Manipulationen

Die hochbegabte Wednesday beispielsweise, die bei „Jugend forscht“ eine fortschrittliche Technologie vorführt, durch die aus Mensch (Onkel Fester) und Tier (einem Kraken) ein bizarres Hybridwesen entsteht, ist eine Außenseiterin, und das gern. Ihre Mutter nennt sie ein „Enfant terrible“, was freilich in einer so furchtbaren Familie wie den Addams kein schlimmer Tadel sein kann. Um den familiären Zusammenhalt zu fördern, beschließen die Eltern, zu einer gemeinsamen Reise durch die USA aufzubrechen und dabei Sehenswürdigkeiten wie die Niagarafälle oder den Grand Canyon in Augenschein zu nehmen. Die einander in rascher Folge abwechselnden Szenen entbinden von der Pflicht, eine interessante und womöglich für das jugendliche Publikum überkomplexe Handlung zu entfalten. An ihre Stelle tritt eine Reihe leidlich lustiger Kapriolen, für die vor allem Wednesdays kleiner Bruder Pugsley sorgt. Doch das notorisch emotionsarme und mit Anzeichen von Autismus versehene Mädchen bleibt teilnahmslos. Und als ihr auf einem einsamen Ausflug ein arglistiger Anwalt zu verstehen gibt, sie sei bei der Geburt vertauscht worden und die Tochter des genialen Erfinders Dr. Strange, der in einer Villa im kalifornischen Sausalito lebt und sie dort erwartet, ist Wednesday erleichtert: Endlich versteht sie, warum sie sich in ihrer Familie nicht so richtig heimisch fühlt. Auch der bereits bedenklich die Stirn runzelnde Zuschauer atmet auf: endlich so etwas wie eine Handlung, sogar ein bißchen verzwickt! 

Gemeinsam mit ihrem treuen Diener Lurch, der aussieht wie Frankensteins Monster, macht Wednesday sich auf nach Sausalito, zähmt unterwegs in einer Bar die Rockerbande vom großen bösen Ronny und ahnt nicht, daß ihre Eltern sich bereits an ihre Fersen geheftet haben. In Sausalito überschlagen sich schließlich die Ereignisse. Denn Strange erweist sich – nomen est omen – als seltsamer Typ, der nicht ganz so selbstlos ist, wie es anfangs schien.

Leichenblasse Exzentriker als Hauptfiguren eines makaberen Kinderfilms – in den USA ist auch das möglich. Die Fortsetzung des Films von 2019 riecht nach billiger Wiederholung einer erfolgreichen Masche. Man sollte „Die Addams Family 2“ dennoch nicht als uninspirierte Nachziehnummer abtun. Einige Witze zünden durchaus und mit etwas gutem Willen entdeckt man in dem Film von Conrad Vernon sogar eine Warnung vor hybriden Gen-Manipulationen. Insgesamt wirkt er allerdings wie ein Kleiderkauf von der Stange: Man setzt auf Bewährtes statt auf modische Experimente. Und für eine abendliche Gala ist das, was die schrecklich morbide Familie zu bieten hat, schlicht die falsche Wahl. Die haarsträubenden Szenen sind zu klamaukig und die übrigen zu banal.

Kinostart ist am 18. November 2021