© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Verbrechen des Stalinismus: Schlußlicht der neuen globalen Opfer-Liga
Verfangen in kolonialen Klischees
(ob)

Seit Monaten füllt ein „neuer Historikerstreit“ die Spalten des Feuilletons. Heiß diskutiert wird die vom australischen Genozid-Forscher A. Dirk Moses (Beitrag auf dieser Seite) aufgeworfene Frage, ob das zur bundesdeutschen „Staatsräson“ erklärte Holocaust-Gedenken nur dazu diene, andere Massenverbrechen, speziell die von kolonialer Gewalt verursachten, zu verschleiern. Wobei, wie Moses verschwörungstheoretisch raunt, im Hintergrund US-amerikanische und israelische Eliten Regie führten, weil sie von der Behauptung der „Singularität“ des Völkermords an den Juden Europas politisch und finanziell profitierten. Für den Münchner Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel drückt sich in Moses’ Forderung, in der „Opferkonkurrenz“ die Schoah zugunsten der „Kolonialverbrechen“ herabzustufen, vor allem das bei westlichen Historikern „weitverbreitete Unverständnis für die Verbrechen des Stalinismus“ aus (Merkur 10/2021). Denn der von Moses’ Parteigängern wie dem Berliner „Globalhistoriker“ Sebastian Conrad angepeilte „Perspektivwechsel“ weg von der nationalen Schuld der Deutschen, hin zur globalisierten „Schuld des weißen Mannes“ disqualifiziere die Gedenkkultur unserer östlichen Nachbarn als „minderwertig“ und verfange sich damit selbst in „kolonialen Klischees von Osteuropa“. 


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