© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Die verzweifelte Hoffnung auf einen Völkerfrühling
Der frühere Linken-Politiker Jens Woitas appelliert an die europäische Linke, sich wieder am Gemeinwohl des Staatsvolkes zu orientieren
Werner Olles

Zugegeben, es hat einen gewissen Spaß bereitet, dieses Buch zu lesen. Nicht nur weil Autor Jens Woitas ein bekennender Linker ist, wenngleich er die Partei Die Linke inzwischen verlassen hat, weil sein auf diesem Buch aufbauendes Strategiepapier nicht nur „aggressive Reaktionen“ hervorrief, sondern ihm im Frühjahr 2020 auch die Teilnahme an der sogenannten „Strategiedebatte 2020“ verweigert wurde. Der promovierte Naturwissenschaftler zählt also nicht zu jener unsäglichen „Lifestyle“-Linken, die auch Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine mit Hohn und Spott überziehen, eher schon zu einer „Querfront“, deren Thesen und Theorien durchaus diskussionswürdig sind. Rechts nennt man das „Solidarischer Patriotismus“. Für einen ehemals radikalen Linken, der seine politische Herkunft mitsamt seinen Genossen, die heute mehrheitlich als linksliberale Grüne im Polit- und Medienbetrieb Karriere gemacht haben, vor vier Jahrzehnten gründlich und mit großer Genugtuung hinter sich gelassen hat, bietet die Lektüre jedoch nicht sonderlich viel Neues. Von einer „Europäischen Revolution“ zu reden halten wir für vermessen, denn Europa hat weder geistig noch intellektuell eine Zukunft. Das mag reaktionär klingen, aber seine leeren Kinderbetten, eine „Kultur des Todes“ (Johannes Paul II.), und die „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.) haben in der Tat eine geschaffen, deren wichtigste Protagonisten Woitas als „apokalyptische Reiter“ bezeichnet.

Mangelnder Widerstandswille des deutschen Allerweltsvölkchens

Immherhin gibt sich Woitas keinen Illusionen hinsichtlich der fehlenden Bildung und des mangelnden Widerstandwillens des deutschen Allerweltsvölkchens hin, wenn er konzediert, daß die absolute Mehrheit der „mündigen Bürger“ bereitwillig für den polit-medialen Komplex stimmt und damit nicht nur ihre eigene Unmündigkeit beweist, sondern auch bürgerkriegsähnliche Erscheinungen, Massenvergewaltigungen, Attentate, Erpressung durch die EU und als Multikulti verniedlichte und Multikulturalismus verklärte Überfremdung und Landnahme durch raum- und kulturfremde Völkerschaften offenbar ohne größere Erregung zur Kenntnis nimmt. Doch hat nach de Maistre jedes Volk die Regierung, die es verdient, während Platon und Aristoteles sich nicht einmal ein Regime vorstellen konnten, das derart böse ist, daß es sich dem Austausch der eigenen Bevölkerung verschreibt. Der Gegensatz von Diktatur ist jedoch nicht Demokratie, sondern die Diskussion, die hierzulande aber kaum noch stattfindet, da die größte Macht der herrschenden politischen Klasse und ihrer medialen Wasserträger im Verschweigen von Tabuthemen liegt.

Was uns bleibt ist schärfste Kritik an diesen Zuständen, Widerspruch, Ablehnung und ziviler und medialer Ungehorsam gegen einen planetarischen Nihilismus und seine Propaganda- und Phrasendreschmaschinen aus Lügen, Haß, Hetze und Bosheit. Man kann das als geistigen Bürgerkrieg bezeichnen, der aus der Inneren Emigration heraustritt, sich seiner Wurzeln besinnt, um mit der Waffe der Kritik den Feind zu schlagen. Daß diese Waffe irgendwann abstumpft, ist offensichtlich, da die kulturellen Kraftzentren immer öfter Opfer der enthemmten mörderischen Gewalt linksextremistischer Terroristen werden. Auf das „Prinzip Hoffnung“ zu setzen, ist jedoch Zeitverschwendung, vielmehr geht es darum, die Lage zu erkennen und mit den Beständen zu rechnen. Sollte Jens Woitas die Neigung verspüren, seine letzten Illusionen fahren zu lassen, um sich mit uns auf verlorenem Posten wiederzufinden, sei er willkommen.

Jens Woitas: Revolutionärer Populismus. Das Erwachen der Völker Europas. Lindenbaum Verlag, Schnellbach 2021, broschiert, 129 Seiten, 16,80 Euro