© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/21 / 19. November 2021

Rettungsanker für die vierte Corona-Welle
Medikamente können Tödlichkeit von Covid-19 weiter stark senken. Pfizer-Mittel verringert Hospitalisierungen um 89 Prozent
Jörg Schierholz

Es war die Topmeldung am 2. Oktober 2020: Donald Trump und seine Frau Melania sowie ein Dutzend seiner engsten Mitarbeiter im Weißen Haus wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Erschrecken bei seinen Anhängern, Häme und die Hoffnung auf ein vorzeitiges Ende seiner Präsidentschaft bei seinen Gegnern, denn es gab damals weder eine zugelassene Impfung noch ein gängiges Medikament gegen Covid-19. Über 200.000 US-Bürger waren schon der neuen Krankheit erlegen.

Ob sich der US-Präsident nur mit einer geringen Virenlast infiziert hatte oder ob die monoklonalen Antikörper (mAK), die er im Walter Reed National Military Medical Center injiziert bekam, Schlimmeres verhinderten, erfuhr die Öffentlichkeit nicht. Doch schon am 12. Oktober flog der damals 74jährige mit der Air Force One wieder zu einem Wahlkampfauftritt ins sonnige Sanford in Florida. Andere hatten weniger Glück: Mehr als 760.000 US-Bürger sind bislang im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben, in Deutschland sind bald 98.000 Bundesbürger tot. Impfstoffe gibt es inzwischen einige, aber bei der Therapie von Covid gab es trotz intensiver Forschung eher geringe Fortschritte.

Bislang verwendete man Arzneien, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflußten: etwa Blutverdünner, um Thrombosen und Schlaganfälle zu verhindern oder Dexamethason, um die tödliche Entzündungsreaktion schwerstkranker Patienten zu unterbinden. Umstritten ist der Einsatz des Anti-Parasiten-Mittels Ivermectin. Das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin erwies sich als nicht wirksam. Die Biologie von Sars-CoV-2 erschwert die Anwendung antiviraler Substanzen, da es nach einer Ansteckung zunächst kaum Symptome gibt und im weiteren Verlauf bei Husten oder Halsweh das Immunsystem aktiv wurde. Direkt gegen das Virus gerichtete Medikamente wirken dann zu spät.

Als einziges antivirales Mittel erhielt Remdesivir (Veklury) des US-Konzerns Gilead 2020 eine EU-Zulassung für hospitalisierte Patienten mit zusätzlichem Sauerstoffbedarf. Laut Studien ist es aber nur bedingt wirksam. Der US-Konzern Merck & Co. und der Lizenzgeber Ridgeback Biotherapeutics präsentierten kürzlich für Molnupiravir (Lagevrio) hoffnungsvollere Ergebnisse. In der Merck-Studie wurden sieben Prozent der mit dem Wirkstoff behandelten Teilnehmer stationär aufgenommen, in der Placebo-Gruppe waren es 14 Prozent. Dieses Zwischenergebnis fiel so signifikant aus, daß das unabhängige Aufsichtsgremium der Studie empfahl, die Rekrutierung weiterer Patienten zu stoppen.

Molnupiravir stört die Vermehrung von Sars-CoV-2 und senkt so die Viruslast. Das Mittel hilft effektiv gegen die Virusvarianten Gamma („brasilianisch“; P.1) und das derzeit dominierende Delta („indisch“; B.1.617.2). Diese Nachricht wurde nun von Pfizer mit einer 89prozentigen Verringerung der Hospitalisierung oder des Todes bei Covid-19-Hochrisikopatienten durch die orale Substanzkombination Paxlovid (PF-07321332; Ritonavir) deutlich überboten. Für Lagevrio von Merck wurden schon in den USA und Großbritannien Notfallzulassungen erteilt. Das EU-Verfahren der Arzneimittelbehörde EMA läuft noch. Pfizer – Partner von Biontech beim Corona-Impfstoff Comirnaty – will mit Paxlovid in Kürze folgen.

Rechtzeitige Vorbeugung gegen schwere Corona-Krankheitsverläufe

Sieben weitere Medikamente befinden sich bei der EMA in den Zulassungsverfahren – darunter Antikörper-Präparate, die in Deutschland über eine Sonderregelung bei Patienten mit mildem Krankheitsverlauf schon im Einsatz sind. Darunter ist die mAK-Kombination Casirivimab/Imdevimab (Handelsname Regn-Cov2) der US-Firma Regeneron und des Schweizer Roche-Konzerns, welche von der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Vorbeugung gegen schwere Verläufe bei Patienten mit milden Symptomen und Risikofaktoren empfohlen werden.

Auch der neue Antikörper-Cocktail Evusheld (AZD7442) von Astrazeneca und Xevudy (Sotrovimab) von GlaxoSmithKline und Vir Biotechnology folgen über ein beschleunigtes „Rolling Review“-Zulassungsverfahren. Regdanvimab (Regkirona) der südkoreanisch-ungarischen Firma Celltrion wird von der EMA evaluiert. Die Antikörper verhindern mit einer 70- bis 90prozentigen Wahrscheinlichkeit eine Hospitalisierung oder den Tod eines früh erkannten Covid-19-Patienten.

Die mAK müssen aufwendig über eine Infusion verabreicht werden. Sie sind in Europa bislang selten und in wenigen deutschen Behandlungszentren im Einsatz. In den USA hingegen konnten im Laufe der Pandemie nicht nur Trump, sondern Millionen Patienten mit diesen Antikörpern erfolgreich behandelt werden. So wurden dort möglicherweise 100.000 Covid-Todesfälle verhindert. Weltweit sind inzwischen fast 100 Antikörperpräparate in Entwicklung. Daneben prüft die EMA noch zwei Rheuma-Wirkstoffe: Baricitinib (Olumiant) des US-Konzerns Eli Lilly und Tocilizumab (RoActemra) von Roche. Beide Substanzen konnten bei schweren Covid-19-Fällen die Sterblichkeit verringern, Olumiant bei invasiv beatmeten Patienten um fast die Hälfte. Auch die seit Jahren bewährte entzündungshemmende Substanz Anakinra (Kineret) wird für Covid-19 evaluiert. Die als Pille verabreichtes Anti-Virus-Mittel von Merck und Roche sind besser für den Masseneinsatz geeignet als „Trumps Wundermittel“, die teuren mAK-Kombinationen. Für schwer erkrankte Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen steht künftig ein Instrumentarium unterschiedlicher Substanzen zur Verfügung, die die Sterblichkeit deutlich verringern können. Aus medizinischer Sicht stehen daher die Chancen gut, Sars-CoV-2 von einem tödlichen Pandemievirus zu einer beherrschbaren Endemie zu wandeln.

Die Entwicklung der neuen Substanzen wurde staatlich gefördert, etwa durch das milliardenschwere Active-Programm der US-Gesundheitsbehörde NIH, die bereits im Dezember 2020 mit ersten zugelassenen Antikörperkandidaten aufwarten konnte. In Deutschland lag die Priorität bei der Impfstoffentwicklung. So fokussierte sich ein 45-Millionen-Euro-Förderprogramm zunächst auf den akademischen Erkenntnisgewinn über den Corona-Erreger. Der Epidemiologe Lars Hemkens (Uni Basel) beklagte im Fachmagazin F1000 Research, daß in Deutschland vergleichsweise wenige Corona-Studien durchgeführt wurden. Auch nicht-pharmakologische Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung hätten kaum Aufmerksamkeit erregt.

Im Mai 2021, eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie und nach der dritten Infektionswelle, legte das Bundesgesundheitsministerium eine Initiative für klinische Studien auf, deren Förderanträge Monate bis zum Bescheid brauchten. Unterstützt werden nun die deutschen Firmen Adrenomed, Apogenix, Atriva Therapeutics, Corat Therapeutics, InflaRx und die DRK Baden-Württemberg-Hessen gGmbH. Sie wollen sowohl Arzneien entwickeln, die die Virusvermehrung in frühen Erkrankungsstadien stoppen, als auch Wirkstoffe, die die schwere Symptomatik späterer Erkrankungsstadien lindern helfen. „Wir investieren in die Zukunft, weil wir damit auch den deutschen Forschungs- und Entwicklungsstandort im Bereich Biotechnologie stärken“, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn. Donald Trump hatte das mit seiner 20 Milliarden Dollar schweren Operation Warp Speed (OWS) ein Jahr früher begonnen.

Therapiezentren für monoklonale Antikörper: www.rki.de