© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Studie: Die deutsche Gesellschaft ist so polarisiert wie seit Jahrzehnten nicht mehr / Vor allem für Grüne und AfD gilt das
Ronald Berthold

Wer einen SUV fährt, sollte sich nicht wundern, wenn Mitmenschen ihn meiden. 22 Prozent der Deutschen wollen mit Besitzern dieser Stadt-Geländewagen nichts zu tun haben. Dies ist nur ein Indiz dafür, wie unversöhnlich sich inzwischen Teile der Gesellschaft gegenüberstehen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat dazu am Montag die 148seitige Studie „Politische Polarisierung in Deutschland“ veröffentlicht. Demnach ist die Bereitschaft, andere Meinungen im eigenen Umfeld auszuhalten, bei Linksorientierten deutlich kleiner als bei rechts der Mitte Verorteten. Insgesamt vertreten zwei Drittel die Auffassung, es gebe „wenig oder keinen Zusammenhalt in der Gesellschaft“.

Die Bevölkerung driftet demnach politisch auseinander. Die wahrgenommene Unterschiedlichkeit der Parteien auf einer Links-Rechts-Skala nehme seit 2015 zu. Sie übersteigt in Westdeutschland inzwischen das Niveau, das in den achtziger Jahren seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Damals lag der größte Gegensatz zwischen CDU/CSU und den neugegründeten Grünen. Heute nehmen AfD und wieder die Grünen die Rolle der Antipoden ein. Allerdings sehen sich die Anhänger der übrigen Parteien „durchweg näher am Pol der Grünen“.

Grundlage für die Studie bilden zwei repräsentative Umfragen. Die Meinungsforscher nahmen sie zunächst um den Jahreswechsel 2019/20 und dann im Sommer 2020, lange vor dem zweiten Lockdown, vor. Die wachsende Spaltung im Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen und langfristigen Zwangsmaßnahmen kann die Untersuchung also nicht abbilden. Daher dürfte der Satz „Die wahrgenommene Polarisierung hat in der Corona-Pandemie abgenommen“ etwas gewagt sein. Er bezieht sich auf die Zustimmung zu der Aussage „In unserer heutigen Gesellschaft stehen sich die Menschen unversöhnlich gegenüber.“ 2019 habe die Zustimmung dazu 41 Prozent betragen, in der Pandemie, aber vor immerhin 15 Monaten, nur noch 31 Prozent.

Schlimmer noch als den Geländewagen-Fahrern geht es Menschen, die sich dazu bekennen, die AfD zu wählen. 62 Prozent der Deutschen möchten diese keinesfalls in ihrem Umfeld haben. Umgekehrt würden sich 87 Prozent nicht daran stören, mit Anhängern der Grünen befreundet zu sein. Die Studie diagnostiziert bereits in der Einleitung „eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD und ihren Wählern“.

Die Frage nach den Ursachen der Vorurteile läßt die KAS offen. Zur Spaltung dürfte auch stigmatisierende Berichterstattung beitragen. Zumindest einen Hinweis darauf gibt die in der Studie abgefragte Beurteilung zu ARD, ZDF und Deutschlandradio. Insgesamt ein Drittel der Deutschen sieht sich und seine Meinung in den öffentlich-rechtlichen Medien weniger gut (25 Prozent) bzw. gar nicht (7 Prozent) vertreten. Unter den Anhängern der AfD fühlen sich 45 Prozent weniger gut in den öffentlich-rechtlichen Medien vertreten und 35 Prozent sogar gar nicht. 

Besonders Linke meiden privat den Kontakt zu Andersdenkenden

Während die Zahl der Ausgrenzer hoch ist, fühlen sich tatsächlich lediglich elf Prozent gesamtgesellschaftlich mit ihren Ansichten stigmatisiert. Der Anteil unter den AfD-Sympathisanten ist deutlich höher, allerdings klagt auch hier nur jeder dritte darüber. Heißt: Selbst die Mehrheit dieser Parteianhänger sieht sich nicht ausgegrenzt. Vielleicht  hängt dies damit zusammen, daß Anhänger der AfD deutlich häufiger berichten, politische Themen zu meiden. Dennoch äußert sich dieses Phänomen auch im Privaten. 13 Prozent haben zu Menschen „den Kontakt wegen ihrer politischen Ansichten abgebrochen“. Dabei wollten laut Studie Anhänger der Linken, der Grünen und der SPD häufiger mit Bekannten „aus politischen Gründen“ nichts mehr zu tun haben als Sympathisanten anderer Parteien. Besonders hervor tun sich dabei wiederum Menschen, „die sich selbst weit links einordnen, konsequent für mehr sozialstaatliche Leistungen, einen Vorrang des Klimaschutzes vor dem Wirtschaftswachstum und eine Erleichterung der Zuzugsmöglichkeit für Ausländer plädieren“.

Nach Einschätzung der Befragten sind die Migrationspolitik, der Klimaschutz und der Gegensatz von Arm und Reich jene Themen, die die Polarisierung verstärken. Fragen nach 2G, der Ausgrenzung von Ungeimpften, konnten noch keine Rolle spielen.

Politisch vertrete, so die KAS, eine Mehrheit Ansichten der Mitte. Allerdings nehme in den vergangenen Jahren der Anteil von „Randpositionen, insbesondere linken Positionen“ zu. Politischer, medialer und demokratischer Frust staut sich daher laut der von Wahl- und Sozialforscher Jochen Roose verfaßten Studie hauptsächlich in einem Lager auf – nämlich bei Personen, „die sich politisch weit rechts verorten, konsequent weniger sozialstaatliche Leistungen, konsequent einen Vorrang des Wirtschaftswachstums vor dem Klimaschutz und konsequent eine Einschränkung der Zuzugsmöglichkeiten für Ausländer präferieren“. Und so bleibt es auch eine Minderheit, die mit der in Deutschland praktizierten Demokratie ziemlich oder sogar sehr unzufrieden ist: zehn beziehungsweise fünf Prozent.

Die meisten Deutschen ziehen trotz der Ablehnung politischer Gegner Kompromisse gegenüber der konsequenten Durchsetzung eigener Positionen vor. Sechs Prozent der Befragten verorten sich am rechten, 13 Prozent am linken Rand. Bei diesen beiden Lagern liege die Präferenz für Kompromisse geringer als bei den anderen. Aber selbst hier plädiere eine Mehrheit für den Ausgleich. 

 www.kas.de