© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Breiter Umbau
„Woker Kapitalismus“: Die meisten großen Unternehmen sind längst zu politischen Akteuren mutiert
Björn Harms

Weltweit orientieren fast alle großen Konzerne ihr Erscheinungsbild am linken Zeitgeist. Der Wunsch nach Diversität steht über allem, der Kampf gegen (vermeintliche) Diskriminierung spielt mittlerweile auch für börsennotierte Unternehmen eine primäre Rolle. Das Phänomen wird allgemeinhin unter dem Schlagwort „Woke Capitalism“ („Wacher Kapitalismus“) zusammengefaßt. Erstmals ins Spiel brachte den Begriff 2015 der Kolumnist Ross Douthat, als er in einem Artikel der New York Times den „woken“ Kapitalismus als die Art und Weise definierte, wie Unternehmen ihre Unterstützung für linke und progressive Anliegen signalisierten, um ihren Einfluß in der Gesellschaft zu erhalten.

Inzwischen bemächtigen sich immer mehr Unternehmen der zeitgeistigen Moral. Minderheiten werden „als neue Maskottchen adoptiert“, wie die Kulturwissenschaftler Akane Kanai und Rosalind Gill in einem Essay anmerkten. Die Firmen sind endgültig von rein wirtschaftsorientierten zu politischen Akteuren geworden, was Auswirkungen auf unser aller Leben hat. Auch in Deutschland tendieren immer mehr Konzerne dazu, sich aufgeklärt und „woke“ zu geben. Die Liste der Beispiele wird von Monat zu Monat länger und länger.

 Weitere Beiträge auf den Seiten 2, 10 und 16





Modebranche/Versandhandel

Beim Sportartikelkonzern Adidas herrschte im Sommer 2020 große Aufregung. Die britische Managerin Karen Parkin, Personalvorstand der Adidas AG, hatte es gewagt, die Rassismusdebatte in den USA nach dem Tod von George Floyd als „Lärm“ abzutun. Nach internen Protesten mußte sie gehen. „Adidas ist ein sehr inklusives Unternehmen“, versicherte nun Anfang November die neue Personalvorständin Amanda Rajkumar gegenüber dem Handelsblatt. Sogleich kündigte sie neue Ziele für den Anteil von Frauen in Führungspositionen an. Adidas will zudem im kommenden Jahr im Rahmen eines neuen „Data Diversity Dimension Project“ als erstes Dax-Unternehmen die Vielfalt des Unternehmens erfassen, indem auf freiwilliger Basis ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht und weitere Merkmale der Mitarbeiter erfaßt werden sollen. In den USA sollen 30 Prozent aller neuen Stellen mit Schwarzen und Latinos besetzt werden.

Auch sonst gibt sich die Modebranche weltoffen. Guckt man sich aktuelle Werbespots im Fernsehen an, springt einem überall – ob bei H&M, Zara oder Versandhandeln wie Zalando –, der Wunsch nach „Diversity“ entgegen. Gefragt sind „Plus-Size“- und nicht mehr ausschließlich „Size Zero“-Models. Regenbogenfamilien werden glorifiziert. Als Werbefiguren sind Minderheiten in Relation zu ihrem Anteil an der Bevölkerung deutlich überrepräsentiert. Auch das Gendern darf nicht zu kurz kommen: So hatte der Handelskonzern Otto bereits 2019 die Verwendung des Gendersprechs beschlossen, andere Modehändler folgten.





Die „Diversity-Konferenz“

Linke und antirassistische Aktivisten gewinnen gesellschaftlich zunehmend an Einfluß. Das wird nicht nur durch die staatliche Förderung sichtbar, die viele Organisationen aus dieser Richtung genießen. Die Aktivisten sind mittlerweile auch eng vernetzt mit Führungspersonen großer Unternehmen. Dort sind sie gerngesehene Gäste. Wirtschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft bilden eine Einheit, um auf allen Kanälen Diversität und Buntheit zu predigen. Nichts macht dies deutlicher als Events wie die „Diversity-Konferenz“, die der Berliner Tagesspiegel jährlich mit der „Charta der Vielfalt“ veranstaltet. Unterstützt wird die Konferenz von Dax-Konzernen wie Siemens, Allianz oder Daimler, doch auch internationale Konzerne sind mit an Bord – darunter Ölriesen wie BP und Zigarettenhersteller wie Philip Morris. Firmen also, die traditionell zum Lieblingsfeindbild der Linken gehörten. Heute stehen die Unternehmen an der Spitze der Bewegung im Kampf „gegen Rechts“, im Kampf gegen „Rasissmus“ oder im Kampf gegen Ungleichheit.

Vor zwei Wochen fand in Berlin die letzte „Diversity-Konferenz“ unter dem Motto „Allyship – gemeinsam für Vielfalt“ statt. Zu Gast waren neben Ex-Bundespräsident Christian Wulff, Siemens-CEO Veronika Bienert oder der CDU-Bundestagsabgeordneten Serap Güler auch Aktivisten wie Jeff Kwasi Klein, „Antirassismus“-Experte und Vorstand des Migrationsrats in Berlin. Klein hatte im vergangenen Jahr die Ausschreitungen der „Black Lives Matter“-Bewegung als „organisierten Widerstand gegen ein rassistisches System“ gerechtfertigt. Kritikern dieser Haltung rief er auf einer Kundgebung zu: „Haltet eure Fresse!“ Vor mehr als 500 Jahren seien „europäische Barbar_Innen auf ihren Raubzug durch die Welt gegangen“ und hätten „rassistische Systeme aufgebaut, die uns bis heute den Atem nehmen“.





Börse und Investoren

Vertreter der US-Börse Nasdaq sind enttäuscht. Nur jedes vierte der 100 größten Unternehmen, die dort gelistet sind, macht derzeit Angaben zu den demographischen Merkmalen ihrer Vorstandsmitglieder. Dabei üben sowohl große Investoren als auch die US-Börsenaufsicht (SEC) immer mehr Druck aus, endlich mehr „Diversität“ in die Chef­etagen zu bringen. Im August hatte die SEC eine Nasdaq-Erklärung unterstützt, die eine ethnische und geschlechtliche Vielfalt in den Vorständen von Unternehmen vorschreibt. Die Nasdaq verlangt von börsennotierten Unternehmen, daß sie mindestens eine Frau und eine Person, die einer ethnischen Minderheit angehört oder sich selbst als schwul, lesbisch, bisexuell, transgender oder queer bezeichnet, in ihre Vorstände aufnehmen. Andernfalls droht der Entzug der Börsenzulassung.

Der SEC-Vorsitzende Gary Gensler erklärte, die Unterstützung seiner Behörde für die Nasdaq-Regel entspreche den Präferenzen der Investoren, die sich bei der Vergabe ihres Kapitals zunehmend auf ökologische, soziale und Governance-Ziele, die sogenannten ESG-Kriterien, konzentrierten. Nach Angaben der „Global Sustainable Investment Alliance“ stiegen die weltweiten ESG-Investitionen im vergangenen Jahr um 55 Prozent auf 35,3 Billionen US-Dollar, verglichen mit 22,8 Billionen US-Dollar im Jahr 2016. Vor allem der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock setzt immer mehr auf Investments, denen das Etikett „Nachhaltigkeit“ anhängt.





„Antirassismus“- und „Diversity“-Schulungen

Laut „Fortune Global 500“-Index ist der US-Einzelhandelskonzern Walmart das umsatzstärkste Unternehmen der Welt. Seit 2018 führt Walmart interne Schulungen für Mitarbeiter durch, die sich an der „Critical Race Theory“ orientieren. Die Vereinigten Staaten werden als „System der weißen Vorherrschaft“ angeprangert, weiße Angestellte mit ihrem „verinnerlichten Rassismus“ konfrontiert. Das Unternehmen startete das Programm 2018 in Zusammenarbeit mit dem Racial Equity Institute (REI), einer Beratungsfirma, die bereits häufig mit Universitäten, Regierungsbehörden und privaten Unternehmen gearbeitet hat. Das Programm basiert auf den Kernprinzipien der kritischen Rassentheorie wie etwa der „Intersektionalität“, laut der es eine Hierarchie der Opfer gibt. Gemäß einem Whistleblower hat Walmart seit dem Start des Programms mehr als 1.000 Mitarbeiter geschult, das Programm für Führungskräfte verpflichtend gemacht und für Arbeiter in den Filialen empfohlen. Auf Nachfrage von „Fox News“ bestätigte Walmart lediglich, daß das Unternehmen „REI seit 2018 für eine Reihe von Schulungen engagiert hat“. Derartige „Antirassismus“- und „Diversity“-Schulungen nehmen weltweit zu. Führungskräfte werden dazu verpflichtet. Wollen sie in der Karriereleiter nach oben klettern, ist eine Teilnahme häufig unabdingbar.





Banken

Viele große Banken haben kein Problem mehr damit, weiße Personen offen zu diskriminieren. Goldman Sachs weigert sich mittlerweile, an Börsengängen von Firmen mitzuarbeiten, wenn das Unternehmen ausschließlich von weißen Männern geführt wird. Das Bankhaus J.P. Morgan will in den nächsten Jahren 30 Milliarden Dollar bereitstellen, um gegen „systematischen Rassismus“ vorzugehen. 13 Milliarden Dollar davon wurden bereits vergeben, gab das Unternehmen Ende Oktober bekannt. Das auf fünf Jahre angelegte Engagement umfaßt dabei Kredite – ausschließlich für Schwarze und Latinos –, Kapitalbeteiligungen und direkte Finanzierungen. Weiße bleiben außen vor. Die Deutsche Bank will 2022 dank einer Quotenregelung rund 20 Prozent ihrer Managementposten von Frauen besetzt sehen, 30 Prozent sollen es im Vorstand sein. Das Ziel dürfte bald schon erreicht sein. Zufrieden ist man dennoch nicht, da es an ethnischer Vielfalt mangelt: „Wir wissen, daß wir in bestimmten Bereichen, insbesondere bei der rassischen und ethnischen Vielfalt, nicht genügend Fortschritte gemacht haben“, gibt man auf der Homepage reumütig zu Protokoll. In den USA soll deshalb die Zahl der schwarzen Kollegen auf den beiden höchsten Führungsebenen der Bank um 50 Prozent angehoben, der „Anteil schwarzer Talente in unseren Graduiertenprogrammen bis 2025 auf 10 Prozent“ gesteigert werden.





Konzern-Selbstverpflichtung „25 x 25“

Im vergangenen Jahr lud die „Silicon Valley Leadership Group“, ein 1978 gegründeter Interessenverband aus über 350 kalifornischen Konzernen, zum „Diversity Forward Summit“. Auf der Veranstaltung wurden die ersten Unternehmen bekanntgegeben, die sich künftig der sogenannten „25×25-Vereinbarung“ verpflichten wollen. „25×25“ soll den Wandel zu „Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion“ mit ehrgeizigen Zielen vorantreiben. Die Vereinbarung gibt zwei Optionen vor: Entweder das Unternehmen verpflichtet sich, bis 2025 mindestens 25 Prozent seiner Führungskräfte „aus unterrepräsentierten Personen (People of Color/Frauen)“ zusammenzusetzen. Oder aber das Unternehmen verpflichtet sich, bis 2025 die Anzahl der „unterrepräsentierten Personen“ in seinen Führungspositionen um mindestens 25 Prozent zu erhöhen. Das Betätigungsfeld der Unterzeichner ist breit gefächert: So finden sich auf der Liste Firmen wie Twitter, Facebook, Zoom, United Airlines, Lumentum, SunPower oder Equilar.





Partei Die Grünen/Bündnis 90

Häufig unkt man auf konservativer Seite, daß mit den Grünen der neue „Öko-Sozialismus“ vor der Tür stehen würde. Die Realität sieht gänzlich anders aus, denn die Wirtschaftswelt hat sich unter der Flagge des „woken Kapitalismus“ längst mit der Partei arrangiert. Viel mehr noch: Die Grünen sind längst zur Partei der Großkonzerne geworden. In einem Gastbeitrag für die Welt beschrieb die Bundestagsabgeordnete Sandra Detzer (Grüne) am vergangenen Wochenende die neue Allianz: „Anders als bei unserem ersten Aufbruch ins nationale Regierungsgeschäft 1998, als Rot-Grün gegen die geballte Macht der Konzerne antrat, werden wir heute von enormen wirtschaftlichen Interessen getragen, von der Chemie- bis zur Autoindustrie, die sich selbst die Klimaneutralität zum Ziel setzen. Das wird unser Regieren leichter und effizienter machen. Zumal die Unternehmen wissen, daß nur wir Grünen über das nötige Netzwerk an Klimawissenschaftlern und Transformationsstrategen verfügen, um zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft einen neuen deutschen Klimakonsens auszuhandeln.“

Foto: Botschaft „Wir sind alle Menschen“ in Anerkennung des „LGBTQ-Stolzmonats“ auf dem New Yorker Times Square, Juni 2020: Ganz einfach gut fürs Geschäft