© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Angriff auf das industrielle Rückgrat
Energiepolitik: Hohe Strom- und Gaspreise gefährden Unternehmen / „Augenmaß bei der Belastung des Transportwesens“
Wolfhard H. A. Schmid / Jörg Fischer

Corona-Pandemie, Fachkräftemangel, Inflation, Lieferschwierigkeiten – das belastet aktuell die deutsche Wirtschaft. Doch die größte Gefahr kommt vom Energiesektor: „Die hohen Strom- und Gaspreise nehmen einem Drittel der Unternehmen bereits die finanziellen Spielräume für notwendige Zukunftsinvestitionen“, klagte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) in der Welt. „Die Preise im Emissionshandel sind schon jetzt eine große Last für die Unternehmen“, erklärte Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) im Handelsblatt.

Doch das ist nur der Anfang – die künftige Bundesregierung und die EU-Kommission wollen den Verbrauch von Erdgas, Kohle und Öl durch die „CO2-Bepreisung“ drastisch verteuern. Und mit einem Anteil von 28,7 Prozent ist die deutsche Chemiebranche mit ihren 465.000 Beschäftigten der mit Abstand größte Energieverbraucher aller Industriezweige. Auf dem Klimakongreß in Berlin schwärmte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Dienstag zwar von der grünen Transformation in ein „klimaneutrales Industrieland“, doch im Kleingedruckten wird die Wirklichkeit der beschleunigten Energiewende beschrieben.

Erdgas ist weiter unverzichtbare Ernergiequelle für die Wirtschaft

Die Chemie-Branche gehe „davon aus, daß sich die Geschäftslage im Winterhalbjahr verschlechtert“, heißt es im aktuellem BDI-Industriebericht (11/21). „Die Ammoniakproduktion mußte bereits aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen gedrosselt werden.“ Das unangenehm riechende und giftige Gas (NH3) ist aber ein unverzichtbarer Grundstoff für viele Industriezweige und vor allem für die Düngemittelproduktion – Lieferengpässe und Preiserhöhungen treffen zunächst die Bauern, dies schlägt sich aber letztlich auch in den Lebensmittelpreisen bei Aldi, Edeka & Co. nieder.

Die deutsche Papierindustrie ist mit einem Anteil von 6,7 Prozent zwar nur der fünftgrößte industrielle Energieverbraucher – doch auch hier belastet die Energiepreisspirale die gesamte Branche. Teilt man die Fixkosten für die Papierherstellung auf, so entfallen etwa 55 Prozent auf die benötigten Rohstoffe (Zellstoff, Altpapier, Chemikalien; JF 47/21) einschließlich Füllstoffe und chemische Additive, 30 Prozent auf den Energiebedarf und nur 15 Prozent aufs Personal. Dennoch ist die Papierindustrie mit etwa 40.000 Mitarbeitern ein wichtiger und – im Vergleich zu vielen Dienstleistungsjobs – vor allem auch gut bezahlender Arbeitgeber.

Der Papierherstellungsprozeß ist sehr aufwendig, aber dank teurer Spezialmaschinen auch in Hochlohnländern eigentlich profitabel. Und schon lange vor Greta, Luisa und den anderen Klimapanikern wurde enorm investiert: „Der spezifische Energieeinsatz pro Tonne Papier wurde von 1955 bis 2020 um 66,5 Prozent auf 2.743 Kilowattstunden pro Tonne reduziert“, argumentiert der Branchenverband der Papierindustrie. „Der spezifische Wasserverbrauch wurde von knapp 50 Litern in 1970 auf unter neun Liter pro Kilogramm Papier im Jahr 2020 reduziert.“ Kraft-Wärme-Kopplung ist längst Standard: Das frühere Familienunternehmen Haindl, inzwischen im Besitz des finnischen Weltkonzerns UPM, erzeugt im oberbayrischen Schongau in drei eigenen Kraftwerken Strom und Wärme. Da im 24-Stunden-Betrieb der Werksbedarf unterschiedlich ist, liefert die Papierfabrik gleichzeitig Fernwärme für die 750 angeschlossenen Haushalte sowie an öffentliche Einrichtungen und das dortige Krankenhaus.

Doch auf tatsächlich null lassen sich die CO2-Emissionen natürlich nicht senken. Eine weitere Reduzierung ist aber theoretisch möglich, doch dies wird zu einer enormen Kostenbelastung führen – was in Konkurrenz zu Firmen in Nordamerika, China und Japan, aber auch schon innerhalb Europas zu Existenzproblemen führt. „Als Grundstoffindustrie sind wir Teil des industriellen Rückgrats der deutschen Wirtschaft und stehen am Anfang mehrerer wichtiger Wertschöpfungsketten“, warnt Papierverbandspräsident Winfried Schaur.

Er verlangt daher von der künftigen Bundesregierung eine „sichere und bezahlbare Energieversorgung“, mehr „Augenmaß bei der Belastung des Transportwesens“ und endlich „Planungssicherheit für die Unternehmen und Regelungen, die weiterhin eine Produktion am Standort Deutschland ermöglichen“. Und der Verband bekennt sich sogar ganz offen zu einem fossilen „Klimakiller“ (Greenpeace), denn der Atom- und Kohleausstieg scheint wohl unaufhaltsam: „Der Umbau der Stromversorgung darf nicht zu Engpässen führen. Solange die grundlastfähige Energieversorgung nicht ausschließlich mit Erneuerbaren Energien sichergestellt werden kann, braucht es für die benötigte Leistung auch Alternativen wie Erdgas.“

Verband der deutschen Paierindustrie:  www.papierindustrie.de