© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Gesunde soll es nicht mehr geben
Druck erzeugt Gegen-druck: Warum wir in der Anti-Corona-Politik auf Drohgebärden und Schikanen verzichten sollten
Konrad Adam

Niemals ist die Freiheit bündiger definiert worden als in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, dem Gründungsdokument der Französischen Revolution. Dort heißt es im vierten Artikel : „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“ Das eigene Recht kommt dort an seine Grenzen, wo das Recht des anderen beginnt.

Nicht zu schaden: dieser elementare Grundsatz des friedlichen Zusammenlebens findet sich auch, zugeschnitten auf den ärztlichen Beruf, in jenem Eid, der auf Hippokrates zurückgeht und in seiner lateinischen Fassung lautet: „Primum nil nocere“ – Allem voran: keinen Schaden anrichten! Was im konkreten Einzelfall nach Vorsicht, Augenmaß und Enthaltsamkeit verlangt. Denn über Ziele muß man nicht lang reden, wenn die Mittel, sie zu erreichen, nicht zur Hand sind.

Wie schwer diese Einsicht fällt, zeigt die mit Vorwürfen, Verdächtigungen und handfesten Drohungen garnierte Debatte über das Impfen. Da soll ja eine neue Pflicht begründet werden, versteckt hinter Kürzeln wie 2G oder 3G. Daß es solche Pflichten gibt, ist unstrittig, sollte jedenfalls unstrittig sein; wie weit sie gehen und was sie verlangen können, zeigt die (2011 allerdings ausgesetzte) Wehrpflicht, die nicht weniger fordert als den Einsatz von Leib und Leben. Die Anwälte des Impfgehorsams fordern etwas Ähnliches, nur mit umgekehrtem Vorzeichen: nicht die Hingabe, sondern den Schutz von Leib und Leben. Und leiten daraus die Berechtigung zu allerlei Zwangsmaßnahmen ab, eine Art Notstandsrecht auf Dauer.

Über allfällige Schäden, Nebenwirkungen genannt, muß man in dieser Stelle nicht groß reden. Nach allem, was wir bisher in Erfahrung gebracht haben, sind sie überschaubar, machen Einwände auf der Basis des „Nil nocere“ deshalb schwierig, wo nicht gar aussichtslos. Es geht um anderes, um die versprochene Wirksamkeit und die daraus hergeleitete Selbstermächtigung des Staates, Grundrechte zu kassieren oder einzuschränken, zurückzugeben oder zu gewähren: da liegt der Hund begraben. Denn wenn die Wirksamkeit nicht hinreichend plausibel dargetan werden kann, gilt das für alles, was daraus abgeleitet wird, natürlich auch. Der Eingriff erscheint dann unverhältnismäßig, vorschnell oder willkürlich. Und Willkür ist verboten.

Es war der Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin, neben dem SPD-Politiker Karl Lauterbach der Lauteste unter den zahlreichen Experto-Interessenten, der auf die begrenzte Aussagekraft der gängigen Schnelltests hingewiesen hat. Er wollte den Muffeln, den Skeptikern und Gegnern den Ausweg verbauen, durch den sie der ihnen angesonnenen Impfpflicht entkommen konnten. Auf Tests zu verzichten, würde früher oder später auf 1G, die allgemeine Impfpflicht hinauslaufen, so wie in Österreich versprochen oder angedroht. Kein Mensch wird sich danach noch als gesund betrachten und der Roßkur entziehen können. Jeder ist dann verdächtig, ja gefährlich, und die Grundrechte stehen nur noch denen zu, die mit der App in der Tasche oder dem Zertifikat in der Hand herumlaufen und jedem Hans Franz, der danach fragt, bereitwillig darüber Auskunft geben, ob sie getan haben, was Christian Drosten von ihnen verlangt. Denn Drosten impft halt gern.

Begrenzte Aussagekraft, das will man ihm schon glauben. Die läßt sich aber nicht nur gegen die Testerei, sondern auch gegen die Impferei ins Feld führen. Eine schwedische Studie, über die die Neue Zürcher Zeitung berichtete, läßt immerhin vermuten, daß die Schutzfunktion des überall massenhaft eingesetzten Impfstoffs der Firmen Moderna, Biontech/Pfizer und AstraZeneca erstaunlich schnell nach vier bis sechs Monaten verpufft.

Wenn das so ist – ein Konditionalsatz! –, steht der begrenzten Aussagekraft von Tests die begrenzte Wirksamkeit des Impfens gegenüber: vorläufige Erkenntnisse hier wie dort, nichts Ungewöhnliches. Was aber doch fragen läßt, woher die Fürsprecher der Pharmaindustrie – die überparteiliche Phalanx reicht von Peter Gauweiler bis zu Bodo Ramelow – die Chuzpe nehmen, Grundrechte auf statistischer Basis anzuerkennen oder vorzuenthalten. Eingriffe solcher Art verlangen etwas mehr als bloße Wahrscheinlichkeit, Sicherheit nämlich. Sicherheit, die sie nicht haben.

Weil das so ist, üben sie Druck aus. Druck ist ein bewährtes Mittel der Politik, ein heikles aber auch, denn Druck erzeugt Gegendruck: genau das, was wir zur Zeit in Österreich oder Holland erleben, wo es wild und gewaltsam zugeht. Ist das gewollt? Wird es in Kauf genommen? Braucht man den Gegner? Dient die Gesundheit als Vorwand, den Leuten Angst einzujagen, sie anzuleinen und den Gehorsam, den man nicht mehr findet, zu erzwingen?

Nein, kein Aufruf zum Widerstand, nicht einmal zum zivilen Ungehorsam. Den zu praktizieren ist ja das Vorrecht der Linken, ihn zu predigen das Privileg von Eliteexistenzen wie Jürgen Habermas. Hier wird nicht mehr verlangt, nein: vorgeschlagen als ein bißchen Ehrlichkeit und den Verzicht aufs Säbelrasseln, ein Tauschgeschäft also: Verzicht auf Drohgebärden und Schikanen einerseits gegen den Verzicht auf Zusammenrottungen – so nennt das ja die Politik – auf der anderen Seite. Verzicht vor allem auf das lächerliche Schauspiel, in dem uns Länder wie Israel, England oder Dänemark mal als Vorbild und mal als Schreckbilder vor Augen geführt werden. Glauben kann das doch keiner mehr, auch Jens Spahn nicht.

Anstatt 3G zu 2G oder noch weiter zu verkürzen, könnte man die Regel ja auch zu 4G erweitern: um die Gesunden nämlich, die es ja auch noch gibt. Ausnahmen vom Impfzwang „aus gesundheitlichen Gründen“ soll es ja geben – doch wie kann das gehen, wenn es so etwas wie Gesundheit gar nicht mehr geben wird? Gesundheit ist ein anspruchsvoller Begriff, umfassender jedenfalls als die Impfenthusiasten ihn gelten lassen wollen. Selbst die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, kennt neben dem körperlichen auch das seelische, sogar ein soziales Wohlbefinden. Das hat gelitten und wird weiter leiden, wenn das Impfkartell fortfährt, unter dem Vorwand, der Gesundheit zu dienen, die Gesellschaft in Kontrolleure und Kontrollierte, Blockwarte und Blockbewohner, Gut und Böse aufzuspalten.