© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Versalzene Suppe
Filmbiographie: „Respect“ schildert das Leben der Soul-Legende Aretha Franklin, angerichtet mit den üblichen Zutaten
Dietmar Mehrens

Es gibt Filme, die sind wie gemacht für ihre Zeit, auch wenn sie Zeitgeschichte transportieren, also Ereignisse zum Inhalt haben, die sich vor ihrer Entstehung zugetragen haben. „Doktor Schiwago“ (1965) war so ein Film, weil er in der Zeit des Kalten Krieges das Wesen des Sowjetkommunismus veranschaulichte. „Stammheim“ (1986) war so ein Film, weil er der Kohl-Ära die Chance gab, hinter die Kulissen des RAF-Wahnsinns der Siebziger zu blicken und ein Stück weit zu verstehen, was die Wirrköpfe der Stadtguerilla zum Morden trieb.

Daß auch „Respect“ in diese Kategorie von Filmen gehört, die parallel sowohl Zeitgeschichte als auch Gegenwartsbefindlichkeiten spiegeln, zeigt sich bereits daran, daß sich mit dem Titel des berühmten Liedes von 1967 – zweckentfremdet als SPD-Motto – in diesem Herbst eine Bundestagswahl gewinnen ließ. Respekt paßt also irgendwie in die Zeit und beschäftigt sich zugleich mit längst vergangenen Geschehnissen. Die längst vergangenen Geschehnisse, das sind in diesem Fall die Lebensstationen, die Aretha Franklin (1942–2018) zur Soul-Legende machten. 

Von der Antirassismus-Welle in den USA getragen

Daß die kleine Aretha mit einer gehörigen Portion Talent gesegnet ist, zeigt sich schon früh. Ihr Vater (Forest Whitaker), Prediger einer Baptistengemeinde, und ihre musikalisch begabte Mutter (Audra McDonald) fördern das Kind nach Kräften, mit Klavierunterricht und persönlichen Tips, die den Glanz von Leitsternen entfalten, die den Weg ganz nach oben weisen. Daß Singen etwas Heiliges sei, vermittelt ihr etwa der Vater. Das ist ein Antrieb, dem die junge Sängerin sich auch später, nach ihrem Aufstieg zum Weltstar, verpflichtet fühlen wird, indem sie ihre Kunst in den Dienst einer von ihr als heilig empfundenen Mission stellt: den Kampf für die Gleichberechtigung von Schwarzen in den USA.

Der Film zeichnet den Lebensweg der in der Musikstadt Memphis, Tennessee, geborenen und in der Industriemetropole Detroit, Michigan, aufgewachsenen Sängerin von den Anfängen im Kirchenchor ihres Vaters über den ersten Plattenvertrag im Alter von nur 18 Jahren bis zu ihrem Aufstieg zur Königin des Soul nach und orientiert sich dabei glücklicherweise mehr an „Ray“ (2004), der Oscar-prämierten Filmbiographie über Ray Charles, als an dem überkandidelten Elton-John-Film „Rocketman“ (2019), der wirkte wie ein zu lang geratenes MTV-Video.

Jennifer Hudson verkörpert die legendäre Sängerin mit Charme und Selbstbewußtsein. Sie fühlte sich bei den Dreharbeiten sichtlich getragen von der Größe ihrer Mission. Denn natürlich will „Respect“ mehr sein als eine Filmbiographie. Der Film steht in der Unrechtaufarbeitungstradition von Werken, die in der Vergangenheit Schlagzeilen machten, wie die Oscar-Gewinner „12 Years a Slave“ (2013) und „Green Book“ (2018).

Leider hat sich aber während der Präsidentschaft von Donald Trump der Ton, in dem diese Auseinandersetzung mit einer rassistischen Vergangenheit geführt wird, drastisch verschärft. Ein Film über die weltbekannte Aretha Frank-lin, zugleich eine Ikone der Bürgerrechtsbewegung, hatte der Versuchung zu trotzen, zu einem Propagandafilm zu werden, der sich gefällig von der Antirassismus-Welle tragen läßt, die in den letzten Jahren über Amerika schwappte und an einigen Orten Tsunami-Ausmaße annahm. Gelungen ist das der südafrikanischen Regisseurin Liesl Tommy nur bedingt.

Das Eingebettetsein in den aktuellen Antirassismusdiskurs, der wie bei ungeschleuderter Wäsche durch viele Dialoge hindurchtropft, schadet dem Film nämlich mehr als es nützt. Kalendersprüche wie „Am allerwichtigsten ist, daß man dich mit Würde behandelt und mit Respekt!“ und die salbungsvolle Inszenierung der Entstehung des Liedes, das 1967 zur Hymne des schwarzen Amerika wurde, wirken in Anbetracht der überhitzten Debatten um Quoten und Identitäten, um vermeintliches weißes Überlegenheitsgebaren und „strukturellen Rassismus“, der schwarze Künstler um ihren verdienten Anteil an der Sahnetorte der Prominenz bringen soll, allzusehr wie das Öl, mit dem man ein bereits kräftig Funken schlagendes Feuer noch weiter schüren möchte.

Wenn man beim Betrachten des filmisch aufgearbeiteten Werdegangs von Aretha Franklin permanent an die weit über das Ziel hinausschießenden aktuellen Forderungen der „Black Lives Matter“-Bewegung und ihrer militant-intoleranten Tiefausläufer denken muß, wird selbst der umjubelteste Gala-Auftritt der Sängerin zu einer Suppe, die zwar mit aller Finesse serviert wird, aber total versalzen ist.

Kinostart ist am 25. November 2021

 www.upig.de