© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Im Marktzeitalter steigt auch die Nachfrage nach Religion
Prediger des Wohlstandsevangeliums
(wm)

Vor gar nicht so langer Zeit wirkte es, als wäre Religion im Verschwinden begriffen. Zumindest die westliche Welt schien sich unaufhaltsam in Richtung Säkularität zu bewegen. Und im Westen, räumt der Religionswissenschaftler François Gauthier (Universität Fribourg) ein, sei es heute immer noch möglich, an dieser Vorstellung festzuhalten. Wer den Blick jedoch auf den „Rest der Welt“ richtet, erkenne, daß überall außerhalb Europas die Religion in neuen Formen auf dem Vormarsch sei. Dieser Befund gelte für den fundamentalistischen Islam und – weit weniger wahrgenommen – für das „charismatische Christentum“. Pfingstbewegungen und Megakirchen mit stark besuchten Einzelgemeinden breiten sich in China, in ganz Südostasien, Subsahara-Afrika und Lateinamerika und sogar noch auf den Fidschi-Inseln und in der kanadischen Arktis aus. Gauthier sieht in diesem Phänomen eine Auswirkung der neoliberalen Globalisierung. Nicht mehr an nationalstaatliche Kirchen gebundene religiöse Heilslehren und Praktiken verbinden sich mit dem Wohlstandsevangelium des Kapitalismus. Religion vermische sich mit Entertainment, Mode, Kultur und mutiere zum „Lifestyle“. Die von charismatischen Predigern verheißene Erlösung beziehe sich darum nicht mehr auf das Leben nach dem Tod, sondern gemäß der Parole „Gesund und reich“ auf materielle, soziale oder spirituelle Selbstverwirklichung im Diesseits. Hierin würden sich die Pfingstbewegungen mit ihren weltweit 650 Millionen Anhängern nicht von der ebenso „konsumorientierten“ Konkurrenz im Religionsgeschäft unterscheiden, dem Islam und dem Konfuzianismus (Welt-Sichten, 10/2021). 


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