© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Fotografin Barbara Klemm wurde geehrt. Mit ihrer Aufnahme dreier korpulenter und wenig Vertrauen erweckender Saalschützer der NPD habe sie 1969 vielleicht mehr zur Verhinderung des Einzugs der Nationaldemokraten in den Bundestag beigetragen als jeder Aufklärungstext, hieß es in der Laudatio. Man mag das Fehlen jeder Distanz in bezug auf ein Bild, das erkennbar keine dokumentarische, sondern eine denunziatorische Absicht hatte, angesichts des antifaschistischen Konsens läßlich finden, aber die Behauptung der FAZ (Online-Ausgabe vom 10. November), Frau Klemm habe solchermaßen einen „Beitrag zum Scheitern der NSDAP“ geleistet, geht vielleicht doch etwas weit.

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Im US-Bundesstaat Vermont wurden alle öffentlichen Schulen gesetzlich verpflichtet, ihren Zöglingen ab dem 12. Lebensjahr auf Wunsch Präservative auszuhändigen.

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Ich mochte Meghan nie; noch nicht einmal, als sie mit Mike Ross verheiratet war.

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Plot 1: Selbstverständlich lösen die beiden toughen Kommissarinnen den Fall; selbstverständlich tappt ihr alter, weißer, männlicher Chef im dunkeln; selbstverständlich ist nicht der Besitzer des schicken Barbershops mit Migrationshintergrund der Schuldige, sondern der nordide Fiesling, unterstützt von der älteren, weißen, korrupten, korpulenten Beamtin vom LKA. Was aber doch überrascht, ist der finale Kampfeinsatz des teilweise gelähmten Ex-Judoka mit schwerer Sprachbehinderung als Folge eines Schlaganfalls. Plot 2: Selbstverständlich war nicht der junge Mann aus dem Orient der Mörder, sondern der junge, weiße Kerl, der aussieht wie der perfekte Schwiegersohn. Selbstverständlich gehört der zu einem rechten Netzwerk, das sogar über eine eigene Dating-App zwecks Rassenhygiene verfügt. Was aber doch überrascht, ist das Happy-End, das die Polizei mittels Beratung erreicht, um eine weitere glückliche multikulturelle Patchwork-Familie ins Leben zu rufen.

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Nur gut, daß Deutschland keine Außengrenze der Europäischen Union zu schützen hat.

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Der Geistliche im Ruhestand spricht in der Morgenandacht zum Buß- und Bettag und bedauert dessen Abschaffung als gesetzlicher Feiertag. So weit, so gut. Dann folgt aber eine unerwartete theologische Volte: Man müsse nicht alle Hoffnung fahren lassen, denn der Kerngedanke sei von der jungen Generation längst aufgegriffen worden: in Gestalt der Bewegung „Fridays for Future“. Gerade will man das als typisch pfäffische Anbiederung an den Zeitgeist achselzuckend abtun, als der Pastor noch auf die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Jona kommt, deren Inhalt er dahingehend zuspitzt, daß es nie zu spät sei, aus der Welt einen besseren Ort zu machen. Für einen Moment geht dem Hörer durch den Kopf, wie die Schulschwänzer wohl reagieren würden, wenn man ihnen erklärte, sie sollten werden wie der Prophet, der erst „aus dem Rachen des Todes“ schreien mußte, bevor er „das Nichtige“ des eigenen Willens erkannte und bereit war, den Menschen in der Großstadt das Gericht Gottes zu verkünden.

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Unlängst war in der Süddeutschen Zeitung (Ausgabe vom 16. November) zu lesen, daß das Lamento über die Einseitigkeit der politischen Ausrichtung deutscher Universitäten ganz grundlos sei. Neben „ultralinken“ gebe es auch „erzkonservative“ Hochschulen. Die Bitte an den Verfasser des Textes, eine Liste mit den Namen der betreffenden Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, blieb leider unbeantwortet.

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Der Mann hält ein Pappschild mit unbekannten Schriftzeichen hoch und marschiert zügig und in fremdem Idiom immer lauter schreiend die Einfallstraße der Innenstadt hinab. Passanten weichen angstvoll zurück. Der eine oder andere, der schon länger hier lebt, darauf gefaßt, daß der Aufgebrachte einen „spitzen Gegenstand“ bei sich führen könnte und psychisch labil ist.

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Kein früherer Bundespräsident war so desinteressiert daran, das Volk zu repräsentieren wie der amtierende. Die öffentlichen Stellungnahmen Frank-Walter Steinmeiers zeigen, daß er sich nur seiner eigenen Alterskohorte und ihren ideologischen Fixierungen verpflichtet weiß. Was immerhin den Vorteil hat, daß kein präsidialer Auftritt überrascht.

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Nekrolog: Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb am 4. September dieses Jahres der Pädagoge Hermann Giesecke, der lange Jahre an der Universität Göttingen gelehrt hat. Während meines Studiums habe ich ihn (wie die meisten Erziehungswissenschaftler) gemieden. In diesem Fall gab den Ausschlag aber die Art und Weise, wie er die Jugendbewegung abgefertigt hatte. Ob mein Urteil zu einseitig war oder der grundsätzliche Wandel in Gieseckes Weltanschauung eine Folge von Emeritierung und Altersweisheit, vermag ich nicht mehr zu klären. Das aber sei zu seiner Ehre gesagt: Es dürfte in den letzten beiden Jahrzehnten kaum einen anderen Vertreter seiner Disziplin gegeben haben, der sein eigenes Fach so scharf kritisiert, so unerbittlich über pädagogischen Kitsch geurteilt und so klar hervorgehoben hat, wie eng Bildungsexpansion und das Ende aller Bildung zusammenhängen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 10. Dezember in der JF-Ausgabe 50/21.