© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/21 / 26. November 2021

Das Erwachen aus der Nacht
Kino: Die Romanverfilmung „Hannes“ handelt von einem tragischen Unfall und seinen Folgen
Dietmar Mehrens

Manche Familien wachsen an einem Schicksalsschlag, andere zerbrechen daran.“ Das ist erkennbar kein Satz aus einem der albernen Alpenkrimis um das verschrobene Ermittlerduo Eberhofer und Rudi (JF 32/21), die Rita Falk berühmt machten. Die Frau kann auch anders: 2012 legte sie einen Roman vor, der bereits vor der Krimireihe entstand und sich ausnahmsweise mal nicht der Alltagssorgen depperter Provinzermittler bei der Hatz auf mittelmäßige Mörder annimmt, sondern der Nöte und Existenzkrisen von Heranwachsenden. Es lag nahe, auch diesen Stoff zu einem Film zu verweben. Denn Drehbücher, die Jugendliche mit Grenzfragen des Daseins konfrontieren, liegen im Trend: Seit dem großen Erfolg der Romanverfilmung „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (2014), die die „Love Story“, die Ali MacGraw und Ryan O’Neal 1970 durchlebten und durchlitten, ins 21. Jahrhundert transponierte, wurde der Markt für Filme, die sich an ein jugendliches Publikum richten, mit motivisch ähnlich bestückten Filmen geradezu geflutet.

Glaube kann mehr sein als tote Tradition

In „Hannes“ dreht sich zwar alles um den tragischen Titelhelden (Johannes Nussbaum). Wichtigster Akteur ist jedoch Moritz (Leonard Scheicher), sein bester Freund, der in Rita Falks Romanvorlage übrigens Uli hieß. Hannes und Moritz, beide 19 Jahre jung, sind wie Brüder. Sie gehen schon so lange durch dick und dünn, wie sie sich erinnern können, auf der Welt zu sein. Denn sie ergänzen sich kongenial: Moritz ist der weltfremde Träumer, fast ein bißchen lebensuntüchtig, Hannes steckt voller positiver Energie und weiß genau, was er vom Leben erwartet.

Als Hannes bei einem gemeinsamem Motorradausflug der beiden Freunde verunglückt, steht diese Konstellation plötzlich auf dem Kopf: Schwer verletzt fällt Hannes ins Koma. Auf einmal ist Moritz derjenige, der praktisch und zielorientiert denken muß. Resolut klammert er sich an die Hoffnung auf die Rückkehr seines besten Kumpels ins Leben, ist ständig bei ihm im Krankenhaus und stellt einiges auf die Beine, um ihn aus der Nacht des Komas ins Licht des Tages zurückzuholen. Nur: Reichen Optimismus und guter Wille aus, um dem Leben etwas abzutrotzen, das dieses nicht zu geben bereit ist? Am Ende verselbständigt sich der Versuch, ein Leben zu führen, wie es Hannes gefallen hätte, und macht aus Moritz einen ganz anderen Menschen. Durch seine Tätigkeit in einer katholischen Pflegeeinrichtung lernt er eine nette junge Dame und eine nette ältere Dame (letzter Filmauftritt der 2020 verstorbenen Hannelore Elsner) kennen. Beide Begegnungen verändern ihn. Und er entdeckt, daß Glaube mehr sein kann als tote Tradition. Die ältere Dame ist ihm indes nicht ganz fremd: Es handelt sich um eine ehemalige Lehrerin des Jungen, die seelisch erkrankt ist und deswegen jetzt von ihm betreut wird – ein letzter starker Leinwandauftritt von Hannelore Elsner, die 2019 ihrem schweren Krebsleiden erlag. 

„Es gibt keine Halbwertszeit für Schuld. Sie bleibt bestehen. Aber es gibt einen Moment, an dem man um Vergebung bitten kann.“ Es sind Sätze wie dieser, die „Hannes“ aus dem Durchschnitt herausheben. Als Moritz, durch sein berufliches Umfeld konfrontiert mit Glaubensdingen, das Gebet aus Psalm 23 für sich entdeckt, wird ihm klar: Ein guter Hirte, in dessen Obhut es einem an nichts mangelt, ist doch nicht so unverzichtbar, wie es scheint, solange einem die Sonne lacht.

Regisseur Hans Steinbichler, der im Frühling seiner Karriere mit dem Heimatfilmverschnitt „Hierankl“ (2003) sowie dem wuchtigen Existenzdrama „Winterreise“ (2006) für Furore sorgte, beide übrigens mit Urgewalt Josef Bierbichler in der Hauptrolle, zeigt auch in „Hannes“ sein Talent, Seelenabgründe filmisch auszuleuchten. Allerdings ist sein neuer Film durch den routinierten Einsatz von pompösen Panoramabildern (gedreht in Südtirol) und gefühlsduseliger Gesangsstücke deutlicher auf sein jugendliches Zielpublikum zugeschnitten als die beiden Frühwerke, bei denen Steinbichler eigene Drehbücher umgesetzt hatte.

Bei aller Sympathie für Darsteller und Thematik umweht das Werk daher der kühle Hauch kommerzieller Kalkulationen, obwohl „Hannes“ den Jugendlichen dort draußen im herbstlichen Deutschland doch eigentlich eine Botschaft vermitteln möchte, bei der ihnen warm ums Herz wird.

Kinostart ist am 25. November 2021