© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Ziel ist der grüne Staat
Koalitionsvertrag und neue Bundesregierung: Das Schlimmste zu verhindern ist niemand da
Paul Rosen

Das Bild ist ein Fanal. Die Spitzen der Ampel-Koalition posieren zum Siegerfoto vor einer alten Halle des Berliner Westhafens, in der heute ein Event-Center zu Partys einlädt. Der Westhafen war Symbol für Fleiß, Produktivität und Wohlstand der alten Bundesrepublik. Auf deren verfallenden Resten wollen SPD, Grüne und FDP vier Jahre lang „mehr Fortschritt wagen“. Tatsächlich wird es mit der Ampel keinen Fortschritt geben, sondern die in 16 Merkel-Jahren betriebene Demontage der alten Bundesrepublik wird vollendet werden. Am Ende dieses Prozesses wird der „grüne Staat“ stehen.

Noch glauben bürgerliche Zweckoptimisten, die FDP werde schon das Schlimmste verhindern; zusammen mit der SPD seien die Grünen eingerahmt, und überdies könnten CDU und CSU im Bundesrat grüne Auswüchse beschneiden. Das ist naive Selbsttäuschung. Daß im Koalitionsvertrag nichts von Tempolimit oder neuen Steuern wie dem rot-grünen Lieblingsprojekt der Finanztransaktionssteuer steht, ändert nichts an der grünen Handschrift, die sich durch das ganze Dokument zieht – von der ersten bis zur letzten Seite.

Die CDU/CSU wird nichts verhindern, sondern den Prozeß der Vergrünung mit beifälligem Nicken begleiten. Erster Beweis war die Reaktion auf das wirkungslose Corona-Infektionsschutzgesetz der Ampel, das Unions-Ministerpräsidenten via Länderkammer stoppen wollten. Doch der bürgerliche Widerstand war schon zusammengebrochen, ehe die Sitzung des Bundesrats begann.

Auch der künftige Kanzler Olaf Scholz ist keiner, der Grüne in Schach halten könnte. Ist schon vergessen, daß die SPD-Mitglieder diesen Mann ohne Charisma und mit dem bekannten Dauergrinsen nicht als Vorsitzenden haben wollten, sondern sich für das sauertöpfisch anmutende Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans entschieden? Diese beiden verkörpern die Seele der Sozialdemokraten, die sich längst den grünen Taktgebern gefügt haben, während Scholz als falsche Werbe-Ikone den verbliebenen Wählern aus dem Kleine-Leute-Milieu suggerieren soll, diese Partei habe doch noch etwas mit Gerhard Schröder und seiner Agenda-Politik zu tun. Doch diese SPD existiert nicht mehr. Ihr bei der Bundestagswahl erzieltes Ergebnis stammt nicht aus Überzeugungsarbeit oder neuer Kraft, sondern ist allein das Resultat der Schwäche der Unionsparteien, die ihre Kanzlerkandidatenkür mit einer Faschingsprinzenproklamation verwechselt haben müssen.

Und Lindner? Der FDP-Chef steht mit einem Wahlergebnis von 11,5 Prozent unverdient auf dem liberalen Siegertreppchen. In Wahrheit zog der schöne Schein der FDP viele Wähler an, die auf der Flucht vor der verwelkenden CDU/CSU waren, bald aber erleben werden, daß die blau-gelbe Pracht nichts anderes ist als eine Blüte im grünen Sumpf.

Christian Lindner wird als Finanzminister eine Erfahrung machen, die schon Theo Waigel, Hans Eichel und Wolfgang Schäuble gemacht haben: Die Koalition bestellt, und der Finanzminister muß sehen, wie er das Geld auftreibt. Da Steuererhöhungen ausgeschlossen sind, sitzt Lindner jetzt schon in der Schuldenfalle und wird umkreist von Defizit-Gespenstern, die verharmlosende Titel wie „Sondervermögen“ tragen. Lindners Traum vom Finanzministerium wird schnell zum Alptraum mutieren. Zu Lindners Alptraumbildern gehören die auf Trab kommende Inflation, die immer weicher werdende und damit Wohlstand ruinierende Euro-Währung sowie die jeden Rahmen sprengenden Kosten der Corona-Epidemie.

Der eigentlich starke Mann des Bündnisses ist Robert Habeck, von ihm zu Füßen liegenden Medien als „naturverbundener Schriftsteller“ gepriesen, sozusagen der Heinrich Böll der grünen Neuzeit. In Wirklichkeit ist Habeck der eiskalt operierende Regisseur der Dekarbonisierung. Sein aus Teilen von Umwelt- und Wirtschaftsministerium zusammengefügter neuer Klimaschutz-Machtapparat wird die in der Bundesrepublik verbliebenen Unternehmen das Fürchten lehren.

Vorbei sind die Zeiten, als das irgendwie noch in der Lambsdorff-Ära wurzelnde Wirtschaftsministerium den rot-grünen Industrie-Abrißbagger des Umweltministeriums wenigstens verlangsamen konnte. Jetzt werden die Industrieabteilungen des Wirtschaftsministeriums Opfer grüner Übernahme des Regierungsapparats, einst bekannt geworden als „Marsch durch die Institutionen“.

Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt, daß der Begriff Industrie fast nur noch im Zusammenhang mit Klimaschutz und Dekarbonisierung auftaucht. Besonders der wichtigste Industriezweig, der Automobilbau, wird die Erfahrung machen, unerwünscht zu sein wie einst die Atomindustrie. Was die grünen Opas einst in Wackersdorf begannen, setzt die Enkelgeneration Baerbock/Habeck in Wolfsburg bei VW und bei anderen fort. Die Deindustrialisierung ist schon seit Merkel Realität. Jetzt erhält der Prozeß einen Schub.

Deutschland wird ein Land, in dem die Schornsteine der Industrie gesprengt werden und sich dafür rauschende Windräder doppelt so hoch in den Himmel erheben. In den Städten wird der Ruf der Muezzine zu hören sein, denn der Einwanderung wird Tür und Tor geöffnet. Zwischen Asyl und Immigration wird nicht mehr unterschieden, wie auf Seite 138 des Koalitionsvertrags zu sehen ist, wo nur noch von „Menschen, die nach Deutschland kommen“, die Rede ist.

Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat recht, wenn er sagt, daß der Koalitionsvertrag „ein Pull-Faktor für ganz, ganz viel illegale Migration sein wird“. Nur: Wo war Brinkhaus 2015, als seine Kanzlerin die Grenzen offenhielt, Millionen ins Land ließ und den unheilvollen Satz „Wir schaffen das“ von sich gab? CDU/CSU-Opposition heißt, Opposition gegen die eigene Politik machen zu müssen. Das kann nicht gutgehen.

Der eigentliche Oppositionsauftrag fällt damit der allerdings geschwächten und parlamentarisch isolierten AfD zu. Die Linke fällt als Opposition aus; sie ist zum Appendix der Ampel degeneriert.

Exotisch wirkende Kabinettsgestalten wie der grüne Hanfbauer Cem Özdemir und Annalena Baerbock, die Frau mit den vielfältigen Lebensläufen, bestimmen das Bild. Zu wenig Aufmerksamkeit wird der möglichen Innenministerin Christine Lambrecht (SPD) zuteil. Lambrecht stellt noch die größten grünen Immigrations-Ideologen in den Schatten. Als Justizministerin wollte sie Gesetze auf Gender-Sprech umstellen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verhinderte dies in seiner Funktion als Verfassungsminister. An seiner Stelle könnte bald Lambrecht die Signale für den grünen Staat stellen.