© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Schreiben in diesen Zeiten
Wo das Positive bleibt
Dieter Stein

Vor wenigen Tagen erhielt ich Post eines langjährigen Lesers. Er schrieb mir, weshalb er schweren Herzens unsere Zeitung nicht weiterlesen möchte. Der Grund dafür sei nicht, so beteuert er in einem wehmütigen Brief, daß er grundsätzlich von unserer Ausrichtung oder Einstellung abgekommen oder enttäuscht sei.

Es sei eher, so schreibt er, „eine Mischung aus Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit“, die er aufgrund der Ohnmacht „in bezug auf die permanent verschärften Corona-Straf-und-Schikane-Maßnahmen empfinde“. Das habe bei ihm zu einer enormen Unruhe und Unausgeglichenheit geführt. Er sei „in den letzten Monaten schlichtweg nicht mehr zeitlich und emotional in der Lage gewesen, die JF ausgiebig zu lesen“.

War dies sein letzter Satz? Nein, er schiebt noch nach: „Machen Sie, bitte, trotzdem weiter so!“ Ich bin mir nicht sicher, ob wir „trotzdem weiter so“ machen können. Seinen Brief habe ich an alle Redakteure weitergeleitet mit der Bemerkung, es brauche neben allem Negativen, dem wir uns widmen müßten, auch Geschichten, die ermutigen.

Wir können nicht gut Wetter machen, wenn die Weichen politisch grundsätzlich falsch gestellt sind.

Selbstverständlich ist es die Aufgabe einer Zeitung, die kritischem Journalismus verpflichtet ist, katastrophale Fehlentscheidungen der Regierung aufzuspüren und beim Namen zu nennen. Wir können nicht gut Wetter machen, wenn die Weichen politisch grundsätzlich falsch gestellt sind. Aus den Zeilen des Lesers spricht dennoch die Regung, daß man – wenn die Zeiten auch krisenhaft sind und manche Perspektive düster – nicht auch noch in der Lektüre nur dem Negativen begegnen will.

Erich Kästner beklagte in einem seiner Gedichte Anfang der 1930er Jahre, in der Zeit von Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und des nahenden politischen Umbruchs: „Immer wieder schickt ihr mir Briefe, in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt: ‘Herr Kästner, wo bleibt das Positive?’ Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“ Und Kästner argumentiert: „Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln. Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.“

Doch selbstverständlich gibt es das Positive. Es muß ja nicht gleich das Martin Luther zugeschriebene Apfelbäumchen sein, das man pflanzen solle, auch wenn man wüßte, „daß morgen die Welt unterginge“. Wir müssen uns darin ermutigen, uns nicht fatalistisch dem Lauf der Dinge zu fügen. Jeder kann einen Beitrag dazu leisten, daß sich in privaten und in öffentlichen Dingen Verhältnisse wenden lassen, übrigens auch wieder Brücken geschlagen werden, wo sich Risse zuletzt vertieft haben. Die Adventszeit ist dafür ideal. Zu optimistisch?