© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Ländersache: Sachsen
Ort ohne Otto oben
Peter Freitag

Noch gibt es sie, die zahlreichen Zeugnisse jener einstigen Verehrung, die das aufstrebende – nationalliberale – Bürgertum der vorvergangenen Jahrhundertwende dem Reichsgründer Otto von Bismarck entgegenbrachte. Allein 119 ihm gewidmete Türme mit Aussichtsplattform sind in der Bundesrepublik erhalten (JF 14/15). Doch so weit, dem 1898 verstorbenen „Alten aus dem Sachsenwald“ erneut ein Denkmal zu setzen, geht die Liebe dann auch wieder nicht – so jedenfalls bei einer Mehrheit der Stadtratsmitglieder im sächsischen Bautzen.

Dort stand auf dem Czorneboh, dem Hausberg der Stadt, einst ein Denkmal für den ersten Kanzler des (zweiten) Deutschen Reichs. Bis 1950, als die DDR-Staatsjugend FDJ die Statue im bilderstürmerischen Furor zerstörte. Kürzlich hatte ein örtlicher Gesangsverein, die Bautzener Liedertafel, bei der Verwaltung der Stadt beantragt, das Bismarck-Denkmal auf eigene Kosten wieder aufzubauen. Die Stadt solle nur Grund und Boden zur Verfügung stellen und sich um die weitere Denkmalpflege kümmern. Der Hauptausschuß der Stadt befürwortete das zunächst, doch umgehend regte sich Unmut. Gegner der Idee starteten eine Online-Petition. Das ganze sei „geschichtsrevisionistisch“, die Sängerfreunde der „Liedertafel“ zudem „AfD-nah“. 

Mit heftiger Kritik meldete sich neben Vertretern der sorbischen Minderheit auch der Landesfrauenrat Sachsen zu Wort. Aus frauenpolitischer Sicht sende „die Neuerrichtung eines preußischen Feldherrendenkmals im Jahr 2021 ein fatales geschichtspolitisches Signal“, protestiert das Gremium. Denn: „Das Bismarcksche Kaiserreich zeichnete sich durch eine höchst illiberale, anti-emanzipatorische Frauenpolitik aus.“ Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) sah sich bei soviel Zorn gegenüber Fürst Otto zu einer geschichtspolitischen Klarstellung genötigt: „Bismarck war kein Verbrecher und wir müssen ihn auch nicht als solchen behandeln“, mahnte er. Vergangene Woche stimmte das Stadtparlament auf Antrag von Linkspartei und Grünen ab; denkbar knapp mit zwölf Für- und neun Gegenstimmen sowie drei Enthaltungen kippte das Plenum den Beschluß des Hauptausschusses. Bautzens Bundestagsabgeordneter Karsten Hilse (AfD) bedauerte die Entscheidung und warf CDU und FDP Anbiederung an den „linksgrünen Zeitgeist“ vor.

Gelobt wurde die Entscheidung indes vom Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen, Domowina: „Die Zeit des Personenkultes und einer mythologischen Überhöhung eines ehemaligen Staatsführers, der auch keinen direkten Bezug zur Stadt hat, ist vorbei“, teilte die Organisation mit. Bautzen könne sich nicht Hauptstadt der Sorben nennen „und gleichzeitig ein Denkmal zur Huldigung einer Person aufstellen lassen, die eine sorbenfeindliche Politik vertrat.“ Daher habe das Votum auch das „deutsch-sorbische Miteinander gestärkt“.

Immerhin: Seit 1895 ist Bismarck Ehrenbürger von Bautzen. So steht es jedenfalls auf der offiziellen Internetseite der Stadt. Und anders als im Fall der im Jahr 2000 verstorbenen ehemaligen stellvertretenden DDR-Ministerin für Volksbildung, Gertrud Bobek (SED), fehlt beim früheren Reichskanzler der Zusatz: „Ehrenbürgerschaft erloschen“.