© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Nicht knorke, aber queer
Berlin: Unsere Hauptstadt wird weiter rot-grün-rot regiert / Die zahlreichen Mißstände zu beheben hat keine Priorität /Dafür werden Minderheiten noch mehr gehätschelt
Ronald Berthold

Eine Stadt mit flächendeckendem Tempo 30, noch größerer Sichtbarkeit von Muslimen und Komfortwohnen für „Geflüchtete“ soll Berlin in den nächsten fünf Jahren werden. Darauf haben sich SPD, Grüne und Linkspartei in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Außerdem möchte das Bündnis die „lesbische Sichtbarkeit“ stärken. „Sparen“ wird der hochverschuldete Stadtstaat erklärtermaßen nicht.

Das 149seitige Dokument schafft den Rahmen dafür, den „Umbau“ der Hauptstadt voranzutreiben. Rot-Rot-Grün hatte Berlin auch in der vergangenen Legislaturperiode regiert und vor allem durch spektakuläres Versagen beim BER, der Organisation der Abgeordnetenhauswahl und den Bürgerdienstleistungen auf sich aufmerksam gemacht. Termine in Ämtern sind weiterhin nicht oder nur schwer zu bekommen. Als neue Regierende Bürgermeisterin folgt die ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auf Michael Müller (beide SPD).

In ihrer Vereinbarung haben sich die Parteien vor allem den Minderheiten verschrieben. „Berlin bleibt Regenbogenhauptstadt“, heißt es in dem Dokument wörtlich. Besonders kümmern möchte man sich um die „Unterbringung von wohnungs- und obdachlosen LSBTIQ*“. Auch Muslime und die meist illegal eingereisten Migranten hat die Koalition in den Mittelpunkt ihrer Politik gerückt. Die Parteien äußern ihren Willen zur „Stärkung der Teilhabe und Sichtbarkeit von Muslim*innen“. Dafür entwickelt der Senat „ein Landeskonzept Muslimisches Leben in Berlin“.

An islamischen Feiertagen können die Gläubigen nun „vom Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis ganztägig freigestellt werden“. Auch das Islamforum wird künftig weiter „gestärkt“ – „mittels einer eigenständigen Koordinierungsstelle“.

Dafür und seine weiteren gesellschaftspolitischen Ziele zieht der Berliner Senat in den „Kampf“. Und zwar „gegen rechte Gewalt, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und gegen jegliche Form von menschenfeindlichen Einstellungen und Bestrebungen“. Zudem wird „antimuslimischer Rassismus“ beklagt. „Erklärtes Ziel“ des Bündnisses ist daher „die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte“. Die staatliche Förderung von „Migranten- und Geflüchtetenorganisationen“ wird noch einmal „aufgestockt“.

Staatenlose und sogenannte „Flüchtlinge“ sollen zudem in der Hauptstadt schnell einen deutschen Paß erhalten. Das Verfahren wird, so die Koalitionsvereinbarung, „erleichtert“ und „niedrigschwellig“ gestaltet. Heißt: Bedingungen für die Vergabe der Staatsangehörigkeit soll es so gut wie keine mehr geben. Die Koalition setzt sich außerdem dafür ein, daß jeder Ausländer, der mindestens fünf Jahre in Berlin lebt, Landes- und Bezirksparlamente wählen darf. Alle Migranten, die 2015 und 2016 einwanderten, wären damit sofort wahlberechtigt. Die Nationalität spielt dabei keine Rolle mehr.

Auch die Polizei bleibt nicht verschont

Jährlich will die Koalition 20.000 neue Wohnungen schaffen. Mit einem ähnlichen Versprechen ist die Landesregierung schon in der vergangenen Legislatur gescheitert. Diesmal richtet sie ihren Fokus dabei auch auf „selbstbestimmtes Leben von Geflüchteten in Wohnungen“. Migranten sollen nur noch auf „kurze Dauer“ in Aufnahmeeinrichtungen leben. Stattdessen wird Rot-Grün-Rot „neue Unterkünfte für Geflüchtete in Apartment- oder Wohnungsstruktur errichten“.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus in all seinen zahlreich aufgezählten Facetten bzw. das, was der Senat dafür hält, zieht sich durch viele Kapitel der Koalitionsvereinbarung. Der Begriff „Linksextremismus“ kommt dagegen überhaupt nicht vor. Dabei gehen fast drei Viertel der politisch motivierten Gewalttaten in Berlin auf das Konto linker Straftäter. 2020 waren es 439. Im Bereich Rechtsextremismus zählte die Kriminalstatistik 170 Delikte. Die einzige vorsichtige Distanzierung findet sich in diesem Satz: „Wer Gewalt ausübt, kann für die Politik niemals Verhandlungspartner*in sein. Das gilt völlig unabhängig davon, unter welchem Deckmantel einer politischen Ausrichtung – ob rechts, durch Staatsdelegitimierer*innen, links oder religiös – sie ausgeübt wird.“ 

Autofahren in Berlin soll weiter erschwert werden. Wo immer es geht, auch auf Hauptstraßen, wird nun Tempo 30 eingeführt. Dafür wolle man „alle rechtlichen Möglichkeiten“ nutzen. Zudem wird die Koalition eine „größtmögliche Zahl“ an Radarfallen, mindestens aber 60 neue Blitzer, anschaffen. Überhaupt noch mit dem eigenen Auto unterwegs zu sein, will der Senat auf ein Minimum reduzieren. Dafür sollen „vom Straßenverkehr genutzte Flächen dem Fußverkehr und dem Aufenthalt auf Gehwegen und Plätzen zur Verfügung gestellt werden“.

Vom Umbau der Stadt verschont die neue Regierung auch die Polizei nicht. Diese soll „jünger, weiblicher, diverser und diskriminierungskritischer“ werden. Ausdrücklich heißt es auch hier: „Rechtsextremes, rassistisches, queerfeindliches und antisemitisches Gedankengut hat keinen Platz.“ Deswegen soll das Verbot des sogenannten „Racial Profiling“ im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz verankert werden. Das bedeutet: Ausweiskontrollen dürfen nur noch am Verhalten und nicht am äußeren Erscheinungsbild der Personen festgemacht werden. Wen die Polizei kontrolliert, der kann nun eine Quittung dafür verlangen, auf der die Beamten den Anlaß begründen müssen. Damit will Rot-Grün-Rot angeblichen strukturellen Rassismus der Polizisten eindämmen. 

Wer zum Beispiel als Angehöriger eines kriminellen Clans mehrere Quittungen vorlegen kann, gilt als diskriminiert. Die „Clan-Kriminalität“ ist jedoch für den Senat nicht mehr relevant. In der Koalitionsvereinbarung findet sich kein Wort darüber.

 Kommentar Seite 2

Foto: Polizisten kontrollieren einen aus Afrika stammenden Verdächtigen: Künftig gegen Quittung