© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Die Ampel steht auf Rot
Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung: Hinter Wohlfühlsprech verbergen sich weitreichende Transformations-Pläne
Michael Paulwitz

Dick wie ein Versandhauskatalog ist der 177-Seiten-Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und FDP nach langem Ringen vorgestellt haben. Über weite Strecken ist die Aufzählung von Absichten und Wünschbarkeiten in der charakteristischen Wohlfühlrhetorik grüner Parteiprogramme gehalten. Hinter harmlos klingenden Formulierungen verbergen sich indes weitreichende Pläne: Die „Ampel“ hat sich die umfassende wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche „Transformation“ Deutschlands zum Ziel gesetzt. Ein Überblick:





„Klimaregierung“ und Energie-Planwirtschaft

Die vagen „Klimaschutzziele von Paris“ haben für die Koalition „oberste Priorität“. Die sogenannten „erneuerbaren Energien“ sollen bis 2030 auf einen Anteil von 80 Prozent ausgebaut werden, die Vorgängerregierung wollte noch 65 Prozent. Auf dasselbe Jahr soll auch – mit dem Vorbehalt „idealerweise“ – der Kohleausstieg vorgezogen werden. Wie das funktionieren soll, wenn Wind und Sonne weiter wehen und scheinen, wann sie wollen, bleibt offen, zumal eine Rückkehr zu längerer Kernkraftnutzung explizit ausgeschlossen wird.

Der Koalitionsvertrag der ersten „echten Klimaregierung“ (Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer) ergeht sich statt dessen in planerischen Vorgaben: Zwei Prozent der Landesfläche sollen für die Vervielfachung der Windkraftanlagen reserviert werden, die Vorgaben für Windparks in Nord- und Ostsee werden von 20 auf 30 Gigawatt installierte Leistung erhöht, „alle geeigneten Dachflächen“ sollen für Solaranlagen genutzt werden. Erzwungen werden soll dies über beschleunigte Genehmigungsverfahren; Bürgerwiderstand soll durch die Erhebung von Wind- und Solarkraft zur Frage der „öffentlichen Sicherheit“ gebrochen werden. Das steht im Widerspruch zum Natur- und Artenschutz, von dem sich die Grünen trotz wohltönender Phrasen verabschiedet haben.

Planwirtschaft regiert auch in der Verkehrspolitik. Noch strengere Schadstoffnormen und höhere Energiepreise sollen die Bürger in den öffentlichen Verkehr zwingen. Gleichzeitig sollen bis 2030 mindestens 15 Millionen „vollelektrische“ Autos fahren – mit entsprechendem Strombedarf.





Massenmigration und Einwanderungs-Lobbyismus

Einen „Paradigmenwechsel“ verspricht der Koalitionsvertrag in der Migrationspolitik. Das zeigt sich vor allem in der einseitigen Perspektive: Die Attraktivität Deutschlands für Migranten sowie deren Ansprüche und Befindlichkeiten stehen im Mittelpunkt. Die Zuwanderungsanreize der Merkel-Jahre werden verstärkt und noch vorhandene Hürden abgebaut.

Arbeitserlaubnisse und Zugang zu Sozialleistungen gibt es für alle und von Anfang an. Auch Illegale bekommen erleichterten Zugang zu medizinischer Betreuung. Duldungen abgelehnter und ausreisepflichtiger Asylbewerber werden abgeschafft, die Familienzusammenführung wird auch auf „subsidiär Geschützte“ ausgeweitet. „Opfer von Menschenhandel“ bekommen ein Aufenthaltsrecht auch ohne Aussagebereitschaft – geradezu eine Einladung zu Falschbehauptungen. Wer keine Papiere hat, kann sich eine „Identität“ per eidesstattlicher Versicherung zulegen.

Der Zugang zu Aufenthaltsberechtigungen wird erleichtert, Fristen verkürzt, Ermessensspielräume ausgedehnt. Auch die Einbürgerungs-Wartefrist sinkt von ohnehin kurzen acht Jahren auf fünf bzw. drei Jahre. In Deutschland geborene Kinder werden automatisch Staatsangehörige, wenn ein Elternteil fünf Jahre legalen Aufenthalt hatte; Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaft wird von der Ausnahme zur Regel.

Auch an der Schleusung von Migranten via „Seenotrettung“ soll Deutschland sich wieder beteiligen. Die Zeichen stehen auf Neuauflage der „Willkommenskultur“.





Konjunkturprogramm für den „Kampf gegen Rechts“

Die Maßnahmen gegen „Rassismus“ und „Rechtsextremismus“, von der GroKo schon großzügig gedüngt, will die neue Koalition „anpassen und weiterentwickeln“. Gekämpft wird auch gegen „Haß im Netz“ und „Verschwörungsideologien“. Unter das linke Schlagwort der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ fallen auch „Antiziganismus“, „Frauenhaß“, „Muslim“- und „Queerfeindlichkeit“.

Geld für die Profiteure soll reichlich fließen: Ein „Antirassismusbeauftragter“ und ein „Antiziganismusbeauftragter“ sind vorgesehen, dazu neue „Nationale Koordinierungsstellen“; die „zivilgesellschaftliche“ Beratung gegen „Diskriminierung“ wollen die Koalitionäre „flächendeckend ausbauen und nachhaltig finanzieren“; explizit bekommt das „Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung“ (DeZIM) mehr Geld und Aufträge. „Linksextremismus“ und „Islamismus“ kommen übrigens im Vertragstext genau je einmal vor: beim floskelhaften Bekenntnis, man trete ja irgendwie gegen alle Formen von Extremismus ein.





Sozialstaat und ungelöste Rentenfrage

Zwölf Euro Mindestlohn, Bürgergeld statt Hartz IV, Altersvorsorgepflicht für Selbständige, Verlängerung der „Mietpreisbremse“ – das ausführliche Sozialstaatskapitel trägt die Handschrift der SPD. Eine grundlegende Reform des überbordenden Sozialstaats ist nicht vorgesehen.

Um die größte Baustelle macht auch die „Ampel“ einen Bogen: Keine Rentenkürzungen, keine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters, kein Anstieg des Beitragssatzes über 20 Prozent und kein Unterschreiten des Mindestrentenniveaus von 48 Prozent, verspricht der Koalitionsvertrag, jedenfalls für „diese Legislaturperiode“. Über das Jahr 2025 hinaus, wenn die letzten geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, denkt auch die neue Koalition nicht. Die „Aktienrente“, die die FDP als Achtungserfolg hineinverhandelt hat, wird die Wende nicht bringen; der vorgesehene Kapitalstock von zehn Milliarden Euro ist angesichts jährlicher Ausgaben der Rentenkasse von 338 Milliarden Euro allenfalls symbolisch.





Innere Sicherheit

Zur inneren Sicherheit fällt der Koalition wenig ein; schnell schlägt tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber den Polizeibeamten durch: Sicherheitsüberprüfung, unabhängige „Polizeibeauftragte“, pseudonyme Kennzeichnung und natürlich viel Pädagogik: Fortbildung in Sachen „Grund- und Menschenrechte“ und zur Vorbeugung gegen „Vorurteile, Diskriminierungen und radikale Einstellungen“. Wo es um konkrete und echte Probleme geht, ist der rot-grün-gelbe Kompaß dagegen nicht so klar; für die Bekämpfung der „sogenannten Clankriminalität“ brauchen die „Ampel“-Partner zunächst eine „definitorische Klärung“.





Öko-Sozialismus und ungedeckte Wechsel

Unter dem Schlagwort „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ betreibt die Koalition den Ausbau des staatlichen Zugriffs auf weite Bereiche des Wirtschaftslebens durch planerische Vorgaben, von der „Klimaneutralität“ über die Wasserstoff-Strategie bis zur Verdoppelung der Fahrgastzahl im Schienenverkehr und der Erhöhung des Bahn-Anteils am Güterverkehr auf 25 Prozent. Machbarkeit, Bedarf oder Nachfrage spielen bei solchen Planzahlen keine Rolle.

Von direkten Enteignungen von Wohneigentum ist im Vertrag nicht die Rede. Aber für Hausbesitzer wird es teuer; strenge Vorgaben zur Dämmung und zum De-facto-Einbauverbot klassischer Heizkessel ab 2025 summieren sich zu Milliardeninvestitionen von fragwürdiger Rentabilität. Der ehrgeizige Plan, 400.000 neue Wohnungen jährlich zu schaffen, wird wohl eine Zahl auf dem Papier bleiben, wenn Bauen gleichzeitig immer teurer wird.

Das Reizwort „Steuererhöhungen“ konnte die FDP aus dem Vertrag heraushalten; explizit ausgeschlossen werden sie aber auch nicht. Zudem gibt es kreative Umschreibungen, den „Abbau von Steuerprivilegien“ beim Diesel etwa. Das formale Bekenntnis zur Schuldenbremse könnte sich als weiterer Pyrrhussieg der FDP erweisen, wenn es daran geht, all die Vorhaben zu finanzieren.





EU-Superstaat und „feministische“ Außenpolitik

Noch offener als ihre Vorgänger bekennt sich die Koalition zur Abschaffung des Nationalstaats, den sie eigentlich regieren soll. Die Regierung Scholz wünscht sich einen „verfassungsgebenden Konvent“, der die EU zu einem „föderalen europäischen Bundesstaat“ weiterentwickeln soll. Die Wirtschafts- und Währungsunion will sie „stärken und vertiefen“ – heißt in schnöder Alltagsprosa: Noch mehr Steuergeld und Mithaftung für die Schulden anderer. Zur Euro-Inflation fällt den Koalitionspartnern nur ein, daß sie die „Sorgen der Menschen“ doch „sehr ernst nehmen“.

In der Außen- und Sicherheitspolitik ist viel von „Multilateralismus“ und Menschenrechten, von „humanitärer Hilfe“, „Klimapartnerschaften“, Frauen- oder Homosexuellenrechten die Rede. Nationale und strategische Interessen kommen dagegen nicht vor. Unter der „Ampel“ dürfte deutsche Außenpolitik gefühliger und ideologischer werden. Symptom dafür ist das Bekenntnis zur „feministischen Außenpolitik“; weil der FDP dieses Schlagwort dann doch zuviel war, heißt es jetzt auf Seite 144: „Feminist Foreign Policy“.





Familienzerstörung und Abtreibung

Änderungen des Geschlechts­eintrags gehen künftig per Selbstauskunft, auch bei Minderjährigen; Geschlechtsumwandlungen sollen vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, neue Konstrukte wie „Verantwortungsgemeinschaft“, „Mehr-Elternschaft“ oder „Co-Mutterschaft“ verwässern den Familienbegriff weiter.

Die traditionelle Familie gerät zudem durch den abermaligen Vorstoß unter Druck, „Kinderrechte“ im Grundgesetz zu verankern und so staatliche Eingriffsmöglichkeiten in das Elternrecht zu erweitern. Abtreibungen sollen kostenlos werden, das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wird aufgehoben; Straßenaufklärung vor Abtreibungspraxen will die Koalition dagegen verbieten. Auch die Legalisierung von Eizellspenden und Leihmutterschaft verspricht die Koalition zu „prüfen“ – ein weiterer Tabubruch.

Foto: FDP in der Ampel-Koalition:  Als Mehrheitsbeschaffer vonnöten, zwischen SPD und Grünen zerquetscht