© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Die eigene Arbeit bewährt sich
Südafrika: Orania – eine kleine eingeschworene Gemeinde schwimmt gegen den Strom
Sebastian Biel

Während Südafrika unter Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Korruption leidet, zeigt eine kleine Gemeinschaft in der Mitte des Landes, wie man sich selbst hilft – ganz ohne die Regierung. Orania feierte dieses Jahr seinen 30. Geburtstag. Gegründet wurde es von einer Gruppe Buren rund um den Geistlichen und Dozenten Carel Boshoff am Ende der weißen Herrschaft im Jahr 1991 auf dem Gelände einer verlassenenen Bauarbeitersiedlung am Oranjefluß. Gedacht war es als Keimzelle eines zukünftigen Burenstaates nach dem Vorbild von Israel. 

Die Buren, Nachfahren vor allem niederländischer, aber auch deutscher und französisch-hugenottischer Einwanderer mit der Sprache Afrikaans, haben in den vergangenen Jahrzehnten in Südafrika stetig an Einfluß verloren und kämpfen mittlerweile ums Überleben. Boshoffs Idee war die Sammlung in der kaum entwickelten und dünn besiedelten Karoo-Halbwüste im Landesinneren.

In puncto Solarenergie ein Vorzeigeprojekt

Das ambitionierte Ziel eines eigenen Staates hat sich mittlerweile als illusorisch erwiesen, aber das verfallene „Wildwestdorf“ von damals mit abblätternder Farbe und Sandstürmen ist nun eine saubere, grüne, ländliche Kleinstadt mit Modellcharakter – eine der ganz wenigen Gemeinden Südafrikas, die ohne staatliche Hilfe auskommen und deren Bevölkerung nicht hauptsächlich von Sozialleistungen abhängig ist.

Lange Zeit zu Unrecht als „letze Bastion der Apartheid“ geschmäht, geben mittlerweile sogar ANC-Politiker zu, daß hier einiges richtig gemacht wird. Nur sehr wenige arme, ländliche Gemeinschaften haben sich allerdings bisher von Orania inspirieren lassen, und das Erfolgsmodell ist auch nicht eins zu eins übertragbar. Viel ist der burischen Pioniersmentalität geschuldet, die die Buren nach 40 Jahren an der Macht vernachlässigt hatten und nach 1994 erst wieder erlernen mußten. 

Sonst ist man in Südafrika notorisch staatsgläubig und -abhängig. Obwohl das sozialistische Wohlfahrtsstaatmodell nicht funktioniert – schon gar nicht in einem Land, wo es mehr Empfänger von Sozialhilfe als Steuerzahler gibt und die Wirtschaft seit Jahren stagniert –, wird es stetig von der Regierung ausgebaut mit immer neuen Beschränkungen und Steuern für Selbständige und Eigentümer sowie einer immer aufgeblähteren Verwaltung. Die grassierende Korruption macht obendrein alles noch schlimmer.

Joost Strydom, der Geschäftsführer der Orania-Bewegung und Sprecher von Orania, erklärt den Grund des Erfolges: „Die Gemeinschaft von Orania steht auf drei Beinen: eigene Arbeit, eigener Grund und Boden und eigene Institutionen. Gerade die eigene Arbeit (also keine billigen farbigen Arbeitskräfte wie sonst überall im Land üblich) war vor allem am Anfang eine große Herausforderung, und der Sinn dahinter leuchtete vielen nicht ein. Die eigene Arbeit hat sich aber bewährt und bietet armen Buren die Chance, sich selbst aus dem Elend zu ziehen. Eine relativ gleiche Verteilung von Wohlstand und die gleiche Kultur tragen auch zu sehr geringer Kriminalität bei – im Gegensatz zum größten Teil Südafrikas.“ 

Die Statistiken von Orania sprechen eine eindeutige Sprache: Nach der vor kurzem veröffentlichten Volkszählung wächst die Gemeinschaft jährlich um etwa 12 Prozent, und die Einwohnerzahl hat sich in nur fünf Jahren von 1.300 auf 2.100 erhöht. Dazu Joost Strydom: „Das Baugewerbe kommt nicht nach mit dem Bau von Wohnungen und Häusern. Auch im laufenden Jahr geht das Wachstum ungebremst weiter. Das ist um so bemerkenswerter, als die Corona-Pandemie auch Orania traf. Nach einem anfänglichen Lockdown merkten wir allerdings schnell, daß dadurch die Wirtschaft und Gemeinschaft nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würden und entschieden uns, weitgehend zur Normalität zurückzukehren.“

Orania besteht aus einem Kerngebiet von etwa 3.300 Hektar – wenn man weiter entfernte Farmen dazuzählt sogar etwa 10.000 Hektar. Die Wirtschaft ist stark diversifiziert mit mittlerweile 230 Unternehmen, hauptsächlich Kleinunternehmen. Der größte Wirtschaftssektor sind die Dienstleistungen und der Handel. Besonders stark gewachsen ist das Baugewerbe. Noch relativ klein, aber wachsend sind der Tourismussektor und die private Berufsausbildung. Der Produktionssektor ist noch schwach entwickelt, da hier die großen Abstände zu den Märkten und der hohe Kapitalbedarf eine wesentliche Rolle spielen. Die Landwirtschaft, hauptsächlich Pekannüsse und Futterklee unter Bewässerung sowie Schafzucht, einst das Rückgrat Oranias, ist immer noch wichtig, nimmt aber in der Bedeutung ab.

Die Anzahl der Betriebe wächst sogar noch schneller als die Einwohnerzahl, nämlich um 28 Prozent pro Jahr. Arbeitslosigkeit gibt es praktisch nicht, und die meisten Arbeitgeber wollen sogar noch mehr Menschen anstellen. Fachkräftemangel ist auch hier ein Thema, aber man löst das Problem autark durch vermehrte Investition in die Berufsausbildung. Die Organisation Solidariteit, eine christlich-Afrikaanse Gewerkschaft mit vielen Unterabteilungen und assoziierten Organisationen, finanziert ein Berufsbildungszentrum vor Ort.

Strommangel wegen Vernachlässigung von Kraftwerken bei gleichzeitig wachsendem Bedarf ist in Südafrika ein Dauerthema, und Blackouts, beschönigend „load shadding“ (Stromzuteilung) genannt, sind fast an der Tagesordnung. Auch Orania hat häufiger darunter gelitten und dadurch wirtschaftlichen Schaden davonzutragen. Um die Abhängigkeit von der uneffektiven staatlichen Energiegesellschaft Eskom zu beseitigen, wird gerade eine Solarfarm errichtet, finanziert von Privatinvestoren. In einer Gegend, wo tagsüber praktisch immer die Sonne vom blauen Himmel brennt, ist eine Solarfarm absolut sinnvoll.

Politisch konnte sich Orania trotz seines gegen den Strom gerichteten Ideals von burischer Selbstbestimmung dank eines gut ausgeklügelten Systems einer Privatgemeinde, die den Eigentümern gehört und selbst entscheidet, wer Mitglied werden kann, behaupten. 

Orania ist im Prinzip eine Firma, aber nicht mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, sondern dem einer freien Privatstadt zum Zweck der Behauptung einer schwindenden und politisch machtlosen Minderheit.

 www.orania.co.za

Foto: Orania: Die Gemeinschaft wächst jährlich um etwa 12 Prozent, und die Einwohnerzahl hat sich in nur fünf Jahren von 1.300 auf 2.100 erhöht