© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Plötzlich ist sie wieder da
Schweden: Kehrtwende der Sozialdemokraten verschreckt linke Partner
Christoph Arndt

Magdalena Andersson sorgt nicht nur mit ihrer Ankündigung, eine härtere Gangart bei Parallelgesellschaften und Kriminalitätsbekämpfung einzuschlagen, für Aufsehen. Andersson wurde Anfang November als Nachfolgerin von Stefan Löfven als neue Vorsitzende der regierenden Sozialdemokraten auf einem Parteitag gewählt, nachdem Löfven seinen Rückzug als Parteivorsitzender und Ministerpräsident angekündigt hatte. 

Andersson versprach in ihrer Antrittsrede, jeden Stein umzudrehen, um die Gewalt auszuräuchern. Die Regierung werde bald beschließen, dafür Schwedens Strafverfolgungsbehörden neue Werkzeuge in die Hand zu geben, erklärte die neu gekürte Premierministerin. 

Bürgerliche Opposition stützt Anderssons Minderheitsregierung

Schweden hat seit Jahren ein Problem mit grassierender Gewalt- und Bandenkriminalität. So wurden in den vergangenen vier Jahren jährlich mindestens 40 Menschen bei Schießereien getötet, und viele Schußwechsel geschehen mittlerweile am hellichten Tag und in der Nähe von Schulen und anderen staatlichen Einrichtungen. In Malmö wurde im Juli gar ein Mann beim Besuch eines Friseursalons mit einem Kopfschuß hingerichtet. Der Mord wird einem Konflikt zwischen rivalisierenden Clans zugeschrieben. 

Andersson stellte im Gegensatz zu Vorgänger Löfven einen direkten Bezug von Banden- und Klankriminalität zu den Parallelgesellschaften in den Großstädten her, auch wenn sie die kulturell-religiöse Komponente der Kriminalität kleinredete. 

Klassisch linke Sozialpolitik ist der zweite Teil von Anderssons Agenda, nachdem Löfven seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident (2018 bis 2021) durch Zugeständnisse an Zentrumspartei und Liberale erkaufte und einige wirtschaftsliberale Forderungen der beiden Tolerierungspartner umsetzte.

Der zumindet rhetorische Kurswechsel der schwedischen Sozialdemokraten folgt dem Beispiel Dänemarks, wo die dortige Sozialdemokratie die Parlamentswahl 2019 mit einer Mischung aus restriktiver Justiz- und Zuwanderungspolitik und klassisch linker Sozialpolitik gewann. 

Schweden wählt 2022, und die Sozialdemokraten müssen auf den Feldern Kriminalitätsbekämpfung und Parallelgesellschaften Erfolge aufweisen, da den oppositionellen Moderaten und Schwedendemokraten von den Wählern hier mehr Sachkompetenz zugeschrieben wird.

Ein konkreter Vorschlag ist, die Bedingungen für die Sozialhilfe zu verschärfen, so daß Antragsteller Schwedisch lernen müssen oder eine bestimmte Anzahl an Stunden in der Woche arbeiten. Andersson sprach sich zudem wiederholt für längere und härtere Gefängnisstrafen für Gewaltkriminelle aus.

Sie wird jedoch aufgrund der parlamentarischen Lage Probleme haben, den Kurswechsel auch realpolitisch umzusetzen. Dies wurde bereits bei der ersten Wahl Anderssons am 24. November zur Ministerpräsidentin deutlich. Sie mußte zunächst die Linkspartei mit Zugeständnissen bei Renten und Wohngeld zu einer Enthaltung bei der Ministerpräsidentenwahl bewegen. 

Andersson gewann die Wahl mit der geringst möglichen Mehrheit, dies war jedoch ein Pyrrhussieg. Die Zentrumspartei hatte die 54jährige zunächst ebenfalls durch Enthaltung zur Ministerpräsidentin gemacht, später aber den Haushaltsvorschlag der bürgerlichen Opposition aus Moderaten, Christdemokraten und Schwedendemokraten passieren lassen und nicht den Haushaltsvorschlag der Regierung, welche sie eigentlich toleriert. Dies war eine Reaktion auf den Einfluß der Linkspartei auf den Haushaltsvorschlag der Regierung.

Harte Innenpolitik versus linke Sozialpolitik

Die Grünen zogen sich nach der Niederlage bei der Haushaltsabstimmung aus der Koalition zurück, so daß Andersson am selben Tag nach sieben Stunden im Amt ihren Rücktritt einreichte. Am Montag wurde sie dann erneut als Ministerpräsidentin einer Einparteienminderheitsregierung der Sozialdemokraten gewählt, ist aber auf die Unterstützung der bürgerlichem Opposition angewiesen. Neben der kürzesten Amtszeit eines Kabinettes in Schweden war der Tag auch weiterhin historisch, da die rechtskonservativen Schwedendemokraten zum ersten Mal in die Verhandlungen über einen Haushalt im Reichstag einbezogen waren und einen gemeinsamen Haushaltsvorschlag mit Moderaten und Christdemokraten präsentierten.

Damit der angekündigte Kurswechsel der Sozialdemokraten auch umgesetzt werden kann, muß Andersson sehr effektiv durch das parlamentarische Chaos in den verbleibenden zehn Monaten der Legislatur navigieren. Es gibt keine realistische Mehrheit für eine großzügige Sozialpolitik ohne die Zentrumspartei. Hingegen muß die neue Regierung bei der Kriminalitätsbekämpfung Mehrheiten mit den bürgerlichen Parteien suchen, da die Linkspartei schwerlich restriktive Maßnahmen geschweige denn beim Kampf gegen die Clankriminalität unterstützen wird. Dazu kommt der linke Flügel der Partei, der den Kurswechsel nur widerwillig mitträgt.

Foto: Regierungschefin Magdalena Andersson: Sie muß zwischen links und rechts navigieren