© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Verschiedene Welten
Covid-19-Leben in Dänemark und in den Niederlanden: Gute Stimmung in Apenrade, eher negative Gefühle dagegen in Groningen
Hinrich Rohbohm

Menschenleere Einkaufsstraßen. Heruntergelassene Rollos und Absperrgitter vor den Schaufenstern. Stille. Es ist Montag, 18 Uhr. Seit einer Stunde sind die Läden in der nordholländischen Stadt Groningen geschlossen. Die Kneipen, Bars, die Restaurants. Nur die für den Grundbedarf notwendigen Geschäfte wie Supermärkte, Apotheken oder Tankstellen haben noch geöffnet. Lockdown. Für zunächst drei Wochen müssen Gastronomen und Ladenbesitzer in den gesamten Niederlanden bereits ab 17 Uhr schließen. Der vergangene Montag ist der erste Werktag, an dem die neue Regelung in Kraft tritt.

Hollands Premier Mark Rutte im Fadenkreuz der Kritik 

Zum Unmut nicht nur der Geschäftsinhaber und ihrer Mitarbeiter. Schließlich hatte Premierminister Mark Rutte noch im September eine „neue Phase der Pandemiebekämpfung“ mit damit einhergehenden Lockerungen angekündigt. Dann schossen die Fallzahlen in die Höhe. Inzwischen liegt die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei über 900 Fällen je 100.000 Einwohner.

Angesichts des massiven Anstiegs der Corona-Fallzahlen und dem damit verbundenen „Druck auf die Krankenhäuser“ ruderte die Regierung wieder zurück. Und das, obwohl bereits rund 74 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind. Die Folge: Proteste und Krawalle in mehreren Städten der Niederlande. Unter anderem auch in Groningen.

Wie in vielen anderen Orten sollte auch hier in der Innenstadt eigentlich das Weihnachtsgeschäft florieren. Die Heerestrat, Groningens Einkaufsstraße und Flaniermeile, ist festlich geschmückt und hell erleuchtet. Doch statt Menschentrubel herrscht gespenstische Leere auf den Marktplätzen und in den Fußgängerzonen, während die triste, naßfeuchte Kälte durch die Jacken und Mäntel der wenigen verbliebenen Passanten dringt und für zusätzlich gedrückte Stimmung sorgt. Nur die Lieferdienste haben Hochkonjunktur. Unentwegt sind Pizzafahrer auf Fahrrädern und Mopeds im Einsatz, versprühen einen Hauch von Leben in den wie ausgestorben daliegenden Straßen.

Im Zentrum, auf dem Großen Markt und auf dem Fischmarkt hatten eine Woche zuvor ebenfalls Krawalle die Stadt erschüttert. Ein Restaurantbesitzer am Fischmarkt erinnert sich: „Wir hatten alles abgeschlossen und die Rollos runtergelassen“, erzählt er der JUNGEN FREIHEIT. „Das waren hauptsächlich Jugendliche. Sie hatten Mülltonnen angezündet, Schaufensterscheiben eingeworfen.“ Die meisten seiner Nachbarn hatten sich eingeschlossen. „Wir hatten wirklich Angst.“

Waren es die in Holland berüchtigten marokkanischen Banden? „Nein“, sagt der Gastronom. Sein Eindruck: Die zumeist jungen Täter seien aus allen Teilen der Gesellschaft gekommen, autochthone Holländer hätten sich ebenso beteiligt wie Migranten. „Viele Leute lebten im Gefühl, mit der Impfung wird alles gut. Und jetzt müssen sie feststellen, daß sie entgegen allen Beteuerungen der Politiker trotzdem wieder durch einen Lockdown beeinträchtigt werden.“ Auch in seiner Branche würden sich deshalb die Gemüter der Leute „zwischen Wut und großer Verzweiflung“ bewegen.

„Wir hatten herrliche drei Monate“, schwärmt eine Dänin 

„Besonders die Wut auf Rutte ist jetzt natürlich enorm. Die Leute sind enttäuscht.“ Viele von den Maßnahmen Betroffene würden ihren Frust zwar nicht auf der Straße, dafür aber zu Hause ablassen. „Das bekommen natürlich auch die Kinder mit.“ Zwei Studentinnen hatten die Krawalle ebenfalls mitbekommen. „Ich war darüber schockiert, wie jung die waren. Da waren Kinder dabei, die vielleicht gerade mal zwölf Jahre alt sind“, erinnert sich eine von ihnen an die Gewaltausbrüche. „Die haben sich über Telegram gezielt zu solchen Aktionen verabredet“, schildert die andere. Ihr Bruder sei dort auch unterwegs und hatte ihr von der dortigen Mobilisierung erzählt. Wer jedoch genau hinter den Haßaufrufen stecke, wisse sie nicht.

Von „Haßaufrufen bei Telegram“ berichtet auch ein junger Pizzafahrer, der dort ebenfalls „gelegentlich in einigen Gruppen unterwegs“ sei. „Die schaukeln sich da oft gegenseitig mit einem Mix aus Information und Falschinformation hoch. Dann wird sich schnell verabredet, und schon kommen verschiedenste Gruppen an einem Ort zusammen, nur mit dem Ziel, Ärger zu machen.“ Gerade für Jüngere sei das oft „willkommene Action“.

An einem Optikergeschäft nahe dem Großen Markt sind die Spuren dieser „willkommenen Action“ noch zu sehen. Eine eingeschlagene Scheibe ist mit einer Spanholzplatte abgedeckt. „Ein Schuhgeschäft in der Heerestrat hat auch etwas abbekommen“, erzählt der Pizzafahrer, der am Tag der Krawalle seiner Arbeit nachging und dadurch ebenfalls einige Szenen von den Ausschreitungen gesehen hatte. „Da sind auch Hooligans dabei gewesen, die einfach Spaß daran haben, sich zu schlagen.“ Der Frust über die Regierung sei daher nur ein Auslöser von mehreren gewesen.

Von Frust ist hingegen in Dänemark wenig zu spüren. Die dortige Regierung war noch weiter gegangen als die Niederländer, hob im September sämtliche Corona-Maßnahmen auf. Selbst eine Maskenpflicht war nirgendwo mehr erforderlich. Noch am vergangenen Freitag sind in den Geschäften der nordschleswigschen Kleinstadt Apenrade Leute zu sehen, die ohne Maske ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Es ist ein Kontrast zu Groningen, der sich auch in der Stimmung der Menschen niederschlägt.

Auch Dänemark muß nun wieder Corona-Beschränkungen einführen. Seit Montag herrscht wieder Maskenpflicht. Für größere Veranstaltungen gilt bereits seit Samstag wieder eine Testpflicht oder der Nachweis einer vollständigen Impfung. Doch während in den Niederlanden der Frust zum Teil in Gewalt auf der Straße mündete reagieren viele Dänen weitaus verständnisvoller auf die Maßnahmen.

„Wir hatten drei herrliche Monate“, sagt eine Mutter, die mit ihren zwei Kindern im Ortskern zum Einkauf unterwegs ist. „Es war richtig, die Beschränkungen aufzuheben“, ist sie überzeugt. Im Sommer seien die Fallzahlen „sehr niedrig“ gewesen. „Und die meisten sind hier ja ohnehin schon geimpft.“ Trotz des Wegfalls jeglicher Restriktionen sei darüber hinaus die Inzidenz in Dänemark nur unwesentlich höher als in Deutschland. Tatsächlich liegt auch bei Deutschlands nördlichem Nachbarn die Impfquote deutlich höher als hierzulande. 76,5 Prozent der Dänen sind bereits vollständig geimpft. Ein ähnlich hoher Wert also wie bei den Holländern. Wie ist die unterschiedliche Stimmungslage zu erklären?

„Die wenigen Monate völliger Wiederherstellung unserer Freiheiten haben uns einfach gutgetan. Die Leute hatten Gelegenheit, sich von den Beschränkungen des vergangenen Winters zu erholen“, meint auch die Verkäuferin in einer Parfümerie. Und „daß es jetzt zu Beginn der kalten Jahreszeit wieder schwieriger wird, war ja eigentlich ohnehin jedem klar.“ Zudem seien die Einschränkungen nicht übertrieben hart. „Die Geschäfte bleiben ja weiter offen, und ein wenig Maske tragen in Geschäften und den Impfnachweis vorzeigen sind für die kritische Winterzeit zumutbar.“

Für sie persönlich seien aber auch die Einschränkungen in Deutschland kein Problem. „Ich bin trotzdem regelmäßig auch nach Flensburg zum einkaufen gefahren. Alles kein Problem.“ Umgekehrt habe der Umstand, daß in Dänemark keine Corona-Beschränkungen mehr bestanden, keinen Einfluß auf das Geschäftsleben in dem wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernten Ort gehabt. „Wir hatten weder mehr noch weniger Kunden dadurch bekommen“, schildert die Verkäuferin. Auch deutsche Besucher aus Flensburg bestätigen gegenüber der jungen freiheit: „Das hat für uns jetzt keine Rolle gespielt.“

Doch auch in Deutschland kündigen sich härtere Beschränkungen an. In zahlreichen Bundesländern müssen sich inzwischen auch vollständig Geimpfte testen lassen, wenn sie weiter Restaurants, Bars oder kulturelle Veranstaltungen besuchen wollen. Die Bundesregierung beschreitet damit den Weg der Niederlande. Wird das ähnliche Krawalle nach sich ziehen? „Ich glaube nicht“, meint zumindest der Restaurantbesitzer vom Groninger Fischmarkt. „In Deutschland geht ihr solidarischer mit der Pandemie um“, ist er überzeugt.

Foto: Weihnachsstimmung im Zentrum von Groningen (Niederlande) im Lockdown: Die Lieferdienste haben Hochkonjunktur