© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Es gibt keinen wahren, nur den Islam vieler Wahrheiten
Die Taliban mißdeuten den Koran
(dg)

Mit ihrer Machtübernahme, so fürchtet Ahmad Milad Karimi, könnten die Taliban das ohnehin sehr negative westliche Bild vom freiheitsfeindlichen, totalitären Islam noch weiter eintrüben. Wie der an der Universität Münster lehrende deutsch-afghanische Religionsphilosoph und Islamwissenschaftler in Annäherung an das „Phänomen Taliban“ ausführt, scheine die polit-religiöse Taliban-Bewegung alle in säkularen Gesellschaften vorherrschenden „Vorurteile“ über den Islam zu bestätigen. Denn fraglos seien Taliban fundamentalistisch-radikal antimodern, antiliberal, antipluralistisch, militant-terroristisch und natürlich auch „sexistisch-frauenfeindlich“. Diese Positionen ließen sich jedoch nicht folgerichtig aus dem im Koran fixierten Welt- und Menschenbild des Islam ableiten, sondern nur historisch verstehen. Während ihres 1857 einsetzenden Kampfes gegen die britische Kolonialherrschaft seien die dabei führenden Muslime zur konsequenten Abschottung ihrer traditionellen Lebenswelten gezwungen worden, um ihre Widerstandsfähigkeit zu festigen. Daraus entstanden ihr „Eindeutigkeitsfetischismus“ und ihre „Phantasie vom reinen, einzig wahren Islam“, die zur „Selbsteinkerkerung in einem radikalen Puritanismus“ geführt habe und „programmatisch rückwärtsgewandt“ sei. Das sei jedoch, beruhigt Karimi die Leser des auf „interkonfessionellen Dialog“ abonnierten EKD-Organs zeitzeichen (10/2021), nur eine „pervertierte Mißdeutung des Islams“. Denn die klassische Lehrtradition kenne nicht „eine“, sondern viele Wahrheiten. Insofern könne es sich keine theologische Position leisten, sich alternativlos auf eine bestimmte Lesart der Scharia festzulegen. 


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