© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

CD-Kritik: Igor Levit spielt Schostakowitsch und Stevenson
Affektenleere
Jens Knorr

Der Käufer der limitierten Deluxe-Edition bekommt einen Mini-Print von Schostakowitschs musikalischer Signatur „DeSCH“, einen speziellen Sticker, den QR-Code, um einen hochwertigen, von Igor Levit handsignierten Siebdruck des Covermotivs zu gewinnen, von Graphiker Christoph Niemann gestaltet, der auch das gesamte „Artwork“ verantwortet, ein Beiheft mit einigen hilfreichen Einlassungen und einigem Wörterschwulst – und zuletzt noch zwei CDs mit Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen op. 87 und eine mit der „Passacaglia on DeSCH“ des schottischen Komponisten Ronald Stevenson. Für einen hohen „Chart-Entry“ und längeren Aufenthalt in den deutschen „Longplay-Charts“ dürfte die Marke Igor Levit von vornherein sorgen. Aber auch für den Dialog mit der Ewigkeit?

Der 1987 in Gorki geborene Pianist und politische Aktivist Levit ordnet sein Augenblicks-Ich dem eingeschriebenen gesellschaftlich Biographischen der Zyklen und ihrer musikalischen Faktur über. Sie dienen ihm zu einer „Enzyklopädie der Gefühle“, zu einem „Ritual der Selbsterkundung und -entdeckung, das intimste Fragen verhandelt“, kurz: zur Selbstdarstellung, nicht Selbstbefragung. Affekt sucht Effekt, gekonnt, gelegentlich brillant. Aufgeregt lärmend, spannungsarm gespreizt, gefühlig seicht surft Levit auf den Noten und über sie hinweg. Farben wischen ineinander, und Form verliert sich in Ungefährem.

Unter Levits „campy“ Spiel rauschen beide Zyklen ohne Haftung durch. Schostakowitsch tönt wie Stevenson tönt wie Levit. Dem kaufe ich keine einzige Note ab.

Igor Levit On DeSCH Sony Classical 2021  https://sonyclassical.de www.igor-levit.de