© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Mode und Morde
Kabale und Liebe: Ridley Scotts Kinofilm „House of Gucci“ mit Lady Gaga ist eine eindrucksvolle Oscar-Bewerbung
Dietmar Mehrens

Daß Lady Gaga alias Stefani Joanne Angelina Germanotta sich als phänomenale Schauspielerin entpuppen würde, kann nicht wirklich überraschen. Glichen doch seit Anbeginn ihrer Karriere sämtliche Auftritte der exzentrischen Sängerin, die sich seit 2008 souverän in der Luxusetage des Pop-Geschäfts bewegt, minutiös berechneten Inszenierungen. In „A Star Is Born“ machte sie vor drei Jahren erstmals Furore als Hauptdarstellerin in einem – wen wundert’s – Film mit viel Musik. Man durfte erwarten, daß sie sich in der Rolle einer aufstrebenden Sängerin nicht blamieren würde. Ihr Duett mit dem Schauspieler Bradley Cooper ging dermaßen unter die Haut, daß das Lied „Shallow“ zum Oberhit wurde und die Boulevardpresse Gaga und Cooper eine Liebesaffäre andichtete.

Was die gebürtige New Yorkerin jetzt als Protagonistin in Ridley Scotts „House of Gucci“ abgeliefert hat, macht sie zu einer heißen Anwärterin auf höhere Weihen bei der nächsten Oscar-Verleihung in Hollywood. Denn die Pop-Ikone dominiert jede Szene, in der sie mitspielt (und das sind die meisten). Sie prägt den Film durch eine Präsenz und Persönlichkeit, die man in dieser Form nur von den großen Diven des zeitgenössischen Kinos kennt, einer Meryl Streep etwa.

Ränkespiele um die Kontrolle über das Mode-Imperium

Wer ist diese Frau? Diese Frage stellt sich nicht nur der Zuschauer, den der Film zum Zeugen macht, als Patrizia Reggiani (Lady Gaga) 1970 auf einer mondänen Mailänder Party in knallroter Kluft ihren zukünftigen Gatten (Adam Driver) aufreißt. Diese Frage stellt sich natürlich auch der hochgewachsene junge Mann, der sich hinter den Tresen verirrt hat und mit ihr ins Gespräch kommt. Weiß sie wirklich nicht, wer der schüchtern und etwas linkisch wirkende Jurastudent ist? Jedenfalls ist sie es, die mit großer Zielstrebigkeit und Entschlossenheit bei der sich anbahnenden Romanze die Akzente setzt: „Verabreden Sie sich mal mit mir?“ fragt sie forsch, als er und sie sich zum zweiten Mal begegnen. 

Der Mann, den sie erfolgreich anbaggert, ist niemand Geringeres als Maurizio Gucci, aussichtsreicher Erbe des monumentalen Modehauses Gucci, bekannt für seine sündhaft teuren Schuhe, von denen manche angeblich sogar eine Einlage aus echtem Gold trugen. Neben Maurizios Vater Rodolfo (Jeremy Irons), der die von ihm beargwöhnte Verbindung nicht hintertreiben kann, gehören zum Gucci-Clan auch Maurizios in New York ansässiger Onkel Aldo (Al Pacino) und dessen Sohn Paolo (noch ein Oscar-Anwärter: Jared Leto). Der in seiner Überspanntheit an Peter Ustinovs Nero in „Quo vadis?“ (1951) erinnernde Mode-Dilettant, von Aldo zärtlich „mein Idiot“ genannt, wird schließlich zur zentralen Figur eines Ränkespiels um Firmenanteile und die damit verbundene Kontrolle über das Mode-Imperium. Aldo endet als Bauernopfer, sein Sohn Paolo ist der, der ihn umstößt.

Ridley Scott ist sonst eher für Kinoprodukte bekannt, in denen nicht Stil und Eleganz, sondern Hauen und Stechen im Vordergrund stehen, für „Gladiator“ (2000) oder das erst vor ein paar Wochen in die Kinos gekommene Ritter-Drama „The Last Duel“ (JF 42/21). Wie bei seinen Historienepen nimmt der Regisseur sich auch diesmal reichlich Zeit, insgesamt über zweieinhalb Stunden, um seine Geschichte (eigentlich die von Sara Gay Forden, die die Buchvorlage verfaßte) zu erzählen; trotzdem bleibt manches darin vage. Die Intrige, die Patrizia spinnt, um ihren Einfluß im Hause Gucci zu stärken, ist ein Pars pro toto. Daß sich die beiden Verliebten auf einmal nicht mehr verstehen, wirkt unmotiviert, weil der Film der romantischen Frühphase der Beziehung viel mehr Zeit widmet als der psychologischen Anamnese des Zerwürfnisses. Es sind nur wenige Zeichen der Entfremdung, mit denen Scott den abrupten Absturz einer anfangs glücklichen Verbindung einläutet. Als Maurizio Patrizia schließlich durch eine blonde Geliebte ersetzt, bricht für sie eine Welt zusammen: Nicht nur ihre Ehe ist zu Ende, auch die Illusion, einflußreicher Teil eines Wirtschafts-imperiums zu sein. In Patrizias Augen ist das blanker Mord, Maurizio der kaltherzige Killer ihres Glücks. Dieses Unrecht zu sühnen ist sie wild entschlossen – mit fatalen Folgen.

Obwohl der Rhythmus in der ersten Filmhälfte etwas stockt, weil Scott zu viel in atmosphärischen Bildern und zu wenig in dramatischen Dialogen erzählt, ist „House of Gucci“ ein großer Wurf, der sich gerade für Modemuffel bestens eignet. Wer nämlich nichts ahnt von der kolossalen Katastrophe, die Höhe- und Schlußpunkt in dem Drama um Patrizia und Maurizio bildet, weil er sich für die Klatschgeschichten aus der Modebranche nie die Bohne interessiert hat, der hat am meisten von diesem Film. Und ihm bleiben, da sich der Regie-Titan ganz auf seine durchweg famos verkörperten Figuren konzentriert, auch die erwartbaren Laufsteg-Szenen weitgehend erspart, die Modemuffel ja eher langweilen. Erst gegen Ende von „House of Gucci“ sieht man ein paar Mannequins über die Bühne stapfen. Zu diesem Zeitpunkt dürfte aber jedem Zuschauer längst klar sein, daß Lady Gaga, obwohl ihr zu klassischer Schönheit einiges fehlt, der wahre Hingucker in diesem Film ist.

Kinostart ist am 2. Dezember 2021

Foto: Lady Gaga spielt Patrizia Reggiani, die langjährige Gefährtin des Modehaus-Erben Maurizio Gucci