© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Netzwerk-Zapping
„Digital Markets Act“ nimmt Gestalt an: Plattformen sollen Austausch ermöglichen
Ronald Berthold

Nicht wenige, vorwiegend konservative Facebook-Nutzer haben wegen fortdauernder Zensur angekündigt, die Plattform zu verlassen. Demnächst erreiche man sie beim russischen VK oder einem alternativen sozialen Medium. Die meisten kehrten aber zum Zuckerberg-Netzwerk zurück. Denn alles andere bleibt eine Nische. Facebook beherrscht den Markt. Dies könnte sich nun ändern.

Denn der zuständige Ausschuß für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europaparlament will unter anderem Umzüge in andere soziale Netzwerke erleichtern. Das Gesetz über digitale Märkte soll die Macht der Online-Riesen begrenzen. Mit dem „Digital Markets Act“ (DMA) wären marktbeherrschende Unternehmen wie Google, Twitter, Apple und Meta mit seinen Diensten WhatsApp, Instagram und Facebook Messenger unter anderem verpflichtet, einen Austausch mit anderen Netzwerken wie Threema, Signal oder Telegram und darüber hinaus untereinander zu ermöglichen.

Die Abgeordneten bezeichnen die Konzerne als „Gatekeeper“, also Torwächter, die darauf achten, was die Öffentlichkeit erreicht und was nicht. Demnächst müssen sie laut Gesetzentwurf auch ihre jeweiligen „Timelines“ beziehungsweise „Newsfeeds“ mit Beiträgen anderer sozialer Medien bestücken. Diese Öffnung würde die Kommunikation der Menschen erleichtern und das Löschen erschweren. Denn was auf Facebook entfernt wird, könnte dessen Nutzer dann zum Beispiel über einen nachveröffentlichten Telegram-Post erreichen.

In der Praxis heißt das, die Nutzer würden sehen, was ihre Freunde woanders treiben – es entstünde ein echter Marktplatz und Austausch. Denn auch die Kommentar-, „Teilen-“ und „Gefällt mir“-Funktionen sollen übernommen werden. Das Nischen-Dasein auf anderen Portalen, die dieses kostenlose Zusammenschalten beantragen müssen, hätte ein Ende. Zudem wären die „Torwächter“ verpflichtet, die Verknüpfung unterschiedlicher Dienste zu den Bedingungen und in der Qualität durchzuführen, die sie nutzen. Gleichzeitig wollen die Abgeordneten dabei ein hohes Maß an Sicherheit und Datenschutz gewährleistet sehen.

Verstärktes Vorgehen gegen unliebsame Inhalte

Hört sich erstmal gar nicht so verkehrt an. Allerdings sollen die Plattformen mit dem parallel vorangetriebenen „Digital Services Act“ (DSA) auch schärfer für die über sie verbreiteten Inhalte wie beispielsweise Desinformation oder Haß und Hetze haften. Auf Meinungsfreiheit setzende und bisher umfangreicher verschlüsselte Dienste könnten so stärker in den linksliberalen Regulierungs- und Zensierfokus geraten.

Mitte Dezember muß das Plenum des EU-Parlaments noch zustimmen. Das gilt als Formsache. Die Kommission, die den „Digital Markets Act“ im Dezember 2020 zusammen mit dem DSA auf den Weg gebracht hatte, sowie der Europäische Rat der einzelnen Staatsregierungen könnten den Entwurf allerdings noch modifizieren.

Insider vermuten, daß die anderen beiden Institutionen den Vorschlag des Parlaments abschwächen wollen. Denn die Abgeordneten haben die Initiative der Kommission verschärft. Sollten sich die drei Gremien im ersten Halbjahr 2022 einigen, könnte der DMA Anfang 2023 in Kraft treten. Gelten soll er für Unternehmen ab einer Marktkapitalisierung von 80 Milliarden Euro und einem Jahresumsatz von acht Milliarden Euro. Daher wären auch Handelsplattformen wie Amazon oder das niederländische Booking.com betroffen.

Die sogenannte „Interoperabilität“ der Tech-Giganten ist daher auch nur ein Punkt des neuen Digital-Pakets. Das Gesetz soll es den Konzernen ebenfalls untersagen, ihre Produkte in ihren Suchmaschinen oder auf ihren Marktplätzen zu bevorzugen. Auch die Vorgaben zur Nutzung der Kundendaten für personalisierte Werbung werden laut Entwurf verschärft. Demnächst müßten die Nutzer zustimmen, bevor ihnen individuelle Anzeigen präsentiert werden.

Für das Schlucken anderer Unternehmen sollen künftig verschärfte Bedingungen gelten. Sogenannte „Killer-Übernahmen“, die insebesondere in der Tech-Branche äußert beliebt sind, stünden dann unter hohen Strafen. Darunter versteht man den Kauf eines Konzerns aus dem einzigen Zweck, dessen konkurrierende Technologie vom Markt zu nehmen. Außerdem sollen die „Torwächter“ es ihren Nutzern ermöglichen, voraufgespielte Softwareanwendungen auf ihrem Betriebssystem einfach zu deinstallieren und die Standardeinstellungen zu ändern.

Die Strafen für Verstöße möchte das Parlament drastisch erhöhen. Sanktionen von wenigstens vier bis höchstens 20 Prozent des Jahresumsatzes würden fällig. Für Apple zum Beispiel könnte das eine Strafzahlung von bis zu 64 Milliarden Euro bedeuten.

Foto: Die EU fordert „Interoperabilität“ zwischen Facebook & Co.: Beiträge erscheinen dann auch bei anderen Netzwerken